Tod in Breslau
Name noch die Adresse herausgefun-
den. Wir haben von Maass auch nur das halbe Honorar
bekommen.«
»Wie viel war das?«
»Ein Hunderter.«
Anwaldt steckte sich die türkische Zigarre an, die er
vorhin in der Halle in der Gartenstraße erstanden hatte.
Der beißende Rauch nahm ihm für einen Moment den
Atem. Er bezwang den Hustenreiz und stieß eine dicke
Rauchwolke zur Decke, lockerte seine Krawatte, öffnete
den obersten Hemdknopf und kam sich recht einfältig
vor. Noch vor einem Moment hatte er diesen Menschen
mit der Waffe bedroht, und jetzt paffte er eine Zigarre
wie bei einem alten Bekannten. (Es war überhaupt nicht notwendig, dass ich die Nerven verloren und diesen Huber so unter Druck gesetzt habe. Meine Pistole hat ihm zwar das Maul geöffnet, aber das war auch alles. Es gibt natürlich keine Garantie dafür, dass er die Wahrheit gesagt hat.
Vielleicht hat er sich alles aus den Fingern gesogen.) Anwaldt besah sich die Diplome und Fotos an der Wand.
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Eines davon zeigte Franz Huber, dem ein hochrangiger
Offizier in Pickelhaube die Hand schüttelte. Unter der
Fotografie war ein Zeitungsausschnitt befestigt: »General
Freiherr von Campenhausen gratuliert dem Polizisten
Franz Huber, der dem Kind das Leben rettete. Beuthen
1913.« Anwaldt lächelte versöhnlich. Er sah die Situation
jetzt anders.
»Herr Huber, bitte verzeihen Sie mir, dass ich mit die-
ser Knarre herumgefuchtelt habe. Sie sind doch ein ganz
normaler Gendarm – ein Schkulle, wie man hier in Bres-
lau wohl sagt –, und ich habe sie behandelt wie einen
Verdächtigen. Kein Wunder, dass Sie mir gegenüber zu-
nächst misstrauisch reagiert haben, noch dazu, da ich
meinen Dienstausweis wieder einmal nicht bei mir habe.
Ich habe jetzt eigentlich nichts anderes davon als die Un-
gewissheit, ob Sie mich angelogen haben oder nicht.
Trotzdem möchte ich Ihnen noch eine Frage stellen. Oh-
ne Revolver. Wenn Sie mir antworten, wird es vielleicht
die Wahrheit sein. Darf ich?«
»Bitte sehr.«
»Ist es Ihnen nicht merkwürdig vorgekommen, dass
Maass so schnell von seinem Vorhaben abgekommen ist?
Wir wissen, dass er den Sohn aus dieser illegitimen Ver-
bindung des Barons sucht. Warum hat er dann auf hal-
bem Wege aufgegeben und die Hälfte des Honorars be-
zahlt – warum hat er die Dienste Ihres Büros nicht wei-
terhin in Anspruch genommen, um den Sohn zu finden?«
Franz Huber zog das Jackett aus und goss sich Soda-
wasser nach. Er schwieg einen Moment und betrachtete
die gerahmte Fotografie und die Diplome.
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»Maass hat sich über mich und meine Methoden lustig
gemacht. Er hat geglaubt, dass ich die Sache verpfusche.
Dass ich die Alte unter Druck setze. Er hat sich vorge-
nommen, alles selbst herauszufinden. Natürlich habe ich
gemerkt, dass er ein Wichtigtuer ist, also habe ich ihn gefragt, wie er denn gedenke, den Mann zu finden. Er be-
hauptete, dass ein Bekannter von ihm dem Gedächtnis
der alten Hexe schon auf die Sprünge helfen und ihr ent-
locken werde, wo ihr Herr Sohn stecke.« Huber holte tief
Luft. »Und jetzt hör mir gut zu, Herr Sohn. Du kannst
mich mit deiner albernen Knarre nicht beeindrucken.
Dieser Saujude Maass und du, ihr könnt mich beide mal
am Arsch lecken!« Er schnaubte verärgert. »Ich habe dich
nicht angelogen, weil ich keine Lust dazu hatte. Und
weißt du auch, warum? Das kannst du Mock fragen. Ich
werde bei ihm übrigens auch ein paar Erkundigungen
über dich einholen. Und sollte sich herausstellen, dass
Mock dich nicht kennt, dann sieh zu, dass du dich auf
dem schnellsten Wege aus dem Staub machst.«
XIII
Breslau, 16. Juli 1934.
Acht Uhr abends
Anwaldt verließ Breslau tatsächlich, nicht aber wegen
Huberts Drohung. Er saß in einem Erste-Klasse-Wagen,
rauchte eine Zigarette nach der anderen und betrachtete
gleichgültig die monotone niederschlesische Landschaft
im dunkel glühenden Licht des Sonnenuntergangs. (Ich
muss diesen Spross des Barons unbedingt ausfindig ma-
chen. Wenn auf seinen Nachkommen wirklich ein Fluch
lastet, dann schwebt er in Lebensgefahr, denn Erkin wird hinter ihm her sein. Andererseits, warum suche ich ihn eigentlich? Mock und ich, wir haben den Mörder gefunden.
Nein, wir haben ihn noch nicht gefunden, sondern lediglich identifiziert. Erkin ist im Auftrag von Maass ans Werk gegangen. Er ist vorsichtig, und er weiß, dass wir ihm auf den Fersen sind. Also ist zweifellos Erkin »dieser Bekannte«, der die Informationen aus
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