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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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erfüllt von
    den bestürzten Rufen der Männer, dem Gestank des Öls,
    den tanzenden Schatten an der Wand. Mit Genugtuung
    fasste der Kreuzritter den Entschluss, die Kinder des obersten Priesters der satanischen Sekte auf beispielhafte Art und Weise zu bestrafen. Er befahl seinem Gefolge, die
    Leiber der beiden zu entblößen. Dann hob er sein Schwert,
    seinen treuen Gefährten im Kampf ad majorem Dei glori-
    am , und stach mit sicherer Hand zu. Die Spitze der Klinge glitt leicht in das zarte Fleisch und durchpflügte mit
    einem Schnitt den samtigen Bauch des Mädchens, und
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    gleich darauf schlitzte sie auch den Leib des Jünglings auf, der bereits den ersten Flaum trug. Aus den klaffenden
    Wunden quollen die Gedärme hervor. Der Kreuzritter
    nahm seinen Helm ab und trieb gewandt mit dem Stilett
    die Skorpione dort hinein. Er neigte den Helm wie ein
    Opfergefäß über die Eingeweide beider Opfer. Die Bestien
    krümmten und wanden sich wütend in den warmen Ge-
    därmen, sie fanden keinen Halt in all dem Blut und stie-
    ßen blindlings ihre giftigen Stacheln in das weiche Gewe-
    be. Doch es dauerte noch lange, bis die beiden Opfer ihr
    Leben aushauchten. Dabei hielten sie die flammenden Bli-
    cke ohne Unterlass auf ihren Peiniger gerichtet.
    XII
    Breslau, Montag, 16. Juli 1934.
    Vier Uhr nachmittags

    Die Hitze wurde am frühen Nachmittag noch unerträgli-
    cher, doch sonderbarerweise schienen weder Mock noch
    Anwaldt davon Notiz zu nehmen. Dem Assistenten
    machte sein schmerzender Kiefer zu schaffen, der Zahn-
    arzt hatte ihm eine Stunde zuvor einen Zahn samt Wur-
    zel gezogen. Sie saßen beide in ihren Arbeitszimmern im
    Polizeipräsidium, und beider Gedanken kreisten um das-
    selbe Thema: Sie hatten den Mörder gefunden, Kemal
    Erkin! Damit hatte sich ihr erster, noch intuitiver Ver-
    dacht bestätigt, der auf einer einfachen Assoziation be-
    ruhte: Der tätowierte Skorpion auf der Hand des Türken
    – die Skorpione im Bauch der Baronesse – der Türke
    musste der Mörder sein. Nach Hartners Vortrag hatte
    diese Assoziation etwas gewonnen, ohne das sie bei der
    weiteren Fahndung im Dunklen getappt wären: ein Mo-
    tiv. Die Ermordung der Baronesse Mariette von der Mal-
    ten war also die Rache für das Verbrechen an den Kin-
    dern des Yeziden-Priesters Al-Shausi im Jahre 1205. Und
    ein Vorfahre des Barons, der Kreuzritter Godfryd von der
    Malten, hatte es verübt. Wie Hartner sagte, wurde die
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    Forderung nach Rache von Generation zu Generation
    weitergetragen. Doch es bestanden noch Zweifel: War-
    um war der Befehl erst jetzt, nach siebenhundert Jahren,
    vollstreckt worden? Um diese Zweifel zu zerstreuen und
    den Verdacht in unumstößliche Gewissheit zu verwan-
    deln, war es unerlässlich, die Antwort auf eine Frage zu
    finden: War Erkin ein Yezide? Diese Frage aber würde
    leider noch eine Zeit lang unbeantwortet bleiben. Denn
    über Erkin wusste man derzeit nicht viel mehr als seinen
    Namen, seine Herkunft und die wenigen Brocken aus
    dem Mund des dicken Konrad: »Er will bei der Gestapo
    lernen.« Das hätte heißen können, dass der Türke bei
    der Gestapo in Breslau eine Art Praktikum absolvierte.
    Eines jedoch war sicher: Der mutmaßliche Mörder
    musste festgenommen werden, mit allen zur Verfügung
    stehenden Mitteln. Und er musste verhört werden. Auch
    das unter Anwendung aller zur Verfügung stehenden
    Mittel.
    Das war der Punkt, an dem die übereinstimmenden
    Gedanken beider Polizisten auf ein ernstes Hindernis
    stießen. Denn die Gestapo hütete jedes Geheimnis wie ih-
    ren Augapfel. Ganz sicher würde Forstner, der seinen
    Hals nach dem Tod des Barons von Köpperlingk gerade
    »aus der Schlinge« befreit hatte, nicht mit dem ihm ver-
    hassten Mock zusammenarbeiten wollen. Folglich schien
    es überaus schwierig, auch nur das Elementarste über Er-
    kin herauszufinden – ganz zu schweigen von Informatio-
    nen, die vielleicht Erkins Zugehörigkeit zu einer gehei-
    men Organisation oder Sekte beweisen konnten. Mock
    musste sein Gedächtnis nicht besonders strapazieren, um
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    auszuschließen, dass er Erkin niemals im Polizeipräsidi-
    um angetroffen hatte. Das war auch nicht weiter verwun-
    derlich, denn die ehemalige Politische Abteilung des Prä-
    sidiums, die sich im Westflügel des Gebäudes am Schweid-
    nitzer Stadtgraben 2/6 befand, war nach Pionteks Sturz
    und Forstners Aufstieg zu einem Terrain geworden, in
    das selbst Mocks Informanten keinen Einblick mehr hat-
    ten. Es war schon

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