Tod in den Anden
»Ein paar Indios haben mir geholfen. Sie sprachen kein Spanisch, wir mußten uns wie Taubstumme verständigen. Naccos! Naccos! Sie schauten mich an wie jemanden von einem anderen Stern, bis sie schließlich kapierten.«
»Sie hätten auch eine unangenehme Begegnung haben können.« Lituma warf die Kippe den Abhang hinunter. »Hat man Ihnen nicht gesagt, daß hier in der Gegend Terroristen sind?«
»Ich hatte Glück«, räumte sie ein. Und sie fügteohne Übergang hinzu: »Seltsam, daß Sie meinen piuranischen Akzent erkannt haben. Ich hab geglaubt, ich hätte ihn abgelegt. Ich habe Piura vor langer Zeit verlassen, als ich noch ein Kind war.«
»Den piuranischen Singsang verliert man nie«, sagte Lituma. »Er ist der schönste, den ich kenne. Vor allem bei den Frauen.«
»Könnte ich mich vielleicht ein wenig waschen und kämmen? Ich möchte nicht, daß Carreñito mich in diesem Aufzug sieht.«
Lituma hätte ihr beinahe geantwortet, ›Aber Sie sehen doch toll aus!‹ Er hielt sich jedoch zurück, leicht eingeschüchtert.
»Ja, wie dumm von mir, daß ich nicht selbst darauf gekommen bin«, sagte er und stand auf. »Wir haben eine Waschschüssel, Wasser, Seife und einen kleinen Spiegel. Sie dürfen kein Bad erwarten, hier ist alles sehr primitiv.«
Er führte sie ins Innere der Hütte und spürte leichtes Unbehagen, als er die Enttäuschung, das Mitleid oder das Mißfallen bemerkte, mit dem Mercedes die beiden Pritschen mit ihren zerwühlten Decken, die als Sitze dienenden Koffer und die Waschecke betrachtete: ein schartiges Waschbecken auf einem mit Wasser gefüllten Faß und ein kleiner Spiegel, der am Waffenschrank hing. Er füllte ihr die Schüssel mit sauberem Wasser, reichte ihr ein neues Stück Seife und ging hinaus, um von der Schnur draußen ein trockenes Handtuch zu holen. Als er danach die Hütte verließ,schloß er die Tür hinter sich, damit sie sich wohler fühlte. Er kehrte an die gleiche Stelle zurück, an der er sich mit Mercedes unterhalten hatte. Einige Minuten später tauchte aus den am Berghang hochsteigenden Schatten die Gestalt seines Amtshelfers auf. Er kam mit dem Gewehr in der Hand, nach vorn geneigt, den Berg mit großen Schritten erklimmend. Eine Mordsüberraschung erwartet dich, Junge. Das wird der glücklichste Tag deines Lebens. Als er nur noch wenige Schritte entfernt war, bemerkte er, daß der Gendarm lächelte, während er ihm ein Papier zeigte. ›Der Funkspruch aus Huancayo‹, dachte er, während er aufstand. Die Instruktionen der Kommandantur. Und nach dem Gesicht Tomasitos zu urteilen, waren es gute Nachrichten.
»Wetten, Sie raten nicht, wohin man Sie schickt, Herr Korporal. Besser gesagt, Herr Unteroffizier.«
»Wie? Hat man mich befördert?«
Der Junge reichte ihm das Papier mit dem Firmenzeichen des Bauunternehmens.
»Es sei denn, man spielt Ihnen einen Streich. Nach Santa María de Nieva, als Kommandant des Postens. Meinen Glückwunsch, Herr Unteroffizier.«
Es war nicht mehr hell genug, um das Funktelegramm zu lesen, so daß Litumas Augen nur kurz über die kleinen schwarzen Spinnen auf weißem Grund hinwegglitten.
»Santa María de Nieva? Wo liegt denn das?«
»Im Urwald, in der Gegend des Oberen Marañón«,sagte der Junge lachend. »Aber am komischsten ist, wohin sie mich versetzen. Raten Sie, raten Sie, Sie werden vor Neid sterben.«
Er wirkte sehr vergnügt, und Lituma empfand Neid und Respekt für ihn.
»Sag nicht, nach Piura, sag nicht, sie schicken dich in meine Heimat.«
»Genau dorthin, in das Revier im Castilla-Viertel. Mein Pate hat sein Wort gehalten, er hat mich noch früher als versprochen hier rausgeholt.«
»Heute ist dein Tag, Tomasito.« Lituma klopfte ihm auf die Schulter. »Heute hast du das große Los gezogen, heute hat sich dein Schicksal gewendet. Ich werde dich meinen Freunden empfehlen, den Unbezwingbaren. Aber laß dich ja nicht verderben von diesen Strolchen.«
»Was sind das für Geräusche?« sagte der Gendarm überrascht, auf den Posten weisend. »Wer ist da drin?«
»Auch wenn du es nicht glaubst, aber wir haben Besuch bekommen. Jemand, den du kennst, glaub ich. Sieh mal nach, Tomasito. Mach dir wegen mir keine Sorgen. Ich geh ins Lager runter und werde mit Dionisio und der Hexe ein paar Gläser Anis trinken, zum Abschied. Und weißt du was? Ich werde mir einen ordentlichen Rausch ansaufen. Ich glaub also nicht, daß ich heute abend zurückkomme. Ich werde schlafen, wo es mich überkommt, in der Kantine oder in einer
Weitere Kostenlose Bücher