Tod in den Anden
Die war genauso fremd in Naccos wie er noch vor einigen Monaten, als er auf seinen Wegen zwischen dem Posten und dem Lager genau wie sie jetzt gestrauchelt, umgeknickt, gestürzt und wieder aufgestanden war.
Als sie den Hang zum Posten hinaufzusteigen begann und ihn schon hören konnte, gab der Korporal ihr laut rufend Anweisungen: »Da lang, zwischen den großen Steinen durch«, »Halten Sie sich ruhig fest, das Gras reißt nicht«, »Da nicht lang, das ist der reinste Morast.« Als sie fünfzig Meter vom Posten entfernt war, ging der Korporal ihr entgegen. Er half ihr, faßte sie am Arm und nahm ihr den Lederkoffer ab.
»Von dort oben hab ich geglaubt, daß Sie der Gendarm Tomás Carreño sind«, sagte sie, während sie ausrutschte, das Gleichgewicht verlor, den Händen Litumas entglitt. »Deshalb hab ich Sie so vertraulich gegrüßt.«
»Nein, ich bin nicht Tomás«, sagte er und fühlte sich dumm wegen dieser Worte und gleichzeitig plötzlich überglücklich. »Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich freue, wieder Piuranisch zu hören!«
»Und wie haben Sie gemerkt, daß ich aus Piura bin?« fragte sie verwundert.
»Weil ich es auch bin«, sagte Lituma und streckte ihr die Hand entgegen. »Ein waschechter Piuraner, ja. Korporal Lituma, zu Diensten. Ich bin der Kommandant des Postens hier. Ist es nicht unglaublich, daß sich zwei Piuraner in dieser Hochebene treffen, so weit von ihrer Heimat entfernt?«
»Tomás Carreño ist hier bei Ihnen, nicht wahr?«
»Er ist einen Augenblick ins Dorf runtergegangen, er wird bald zurückkommen.«
Die Frau seufzte erleichtert, und ihr Gesicht heiterte sich auf. Sie waren vor die Hütte gelangt, und sie ließ sich auf einen der Sandsäcke fallen, die der Korporal und sein Amtshelfer mit Hilfe von Pedrito Tinoco zwischen den Felssteinen verkeilt hatten.
»Ein Glück«, sagte sie. Ihre Brust hob und senkte sich, als wollte ihr das Herz aus dem Mund springen. »Wenn ich diesen Fußmarsch umsonst gemacht hätte . . . Der Bus aus Huancayo hat mich sehr weit weg von hier abgesetzt. Man sagte mir, es wäre eine Stunde bis Naccos. Aber ich hab länger als drei gebraucht. Ist das das Dörfchen, da unten? Soll dort die Straße durchführen?«
»Dort sollte sie durchführen«, sagte Lituma. »Sie haben die Arbeiten eingestellt, es wird keine Straße geben. Vor ein paar Tagen ist ein huayco runtergekommen und hat Verheerungen angerichtet.«
Aber das Thema interessierte sie nicht. Sie beobachtete unruhig den Aufgang zum Berg.
»Sehen wir ihn von hier aus kommen?« Nicht nurihre Stimme, auch ihre Person, ihre Bewegungen besaßen etwas Vertrautes. ›Die Frauen aus Piura riechen sogar besser‹, dachte Lituma.
»Wenn es nicht vorher dunkel wird«, gab er zu bedenken. »Die Sonne geht zu dieser Jahreszeit früh unter, sehen Sie, es ist nur noch ihr Abglanz zu sehen. Sie werden todmüde von der Reise sein. Möchten Sie einen Sprudel?«
»Irgendwas, ich sterbe vor Durst«, nickte sie. Ihre Augen beobachteten die Wellblechdächer der Baracken, die Steine und den wild von Grasbüscheln bewachsenen Berghang. »Von hier sieht es hübsch aus.«
»Von weitem ist es besser als aus der Nähe«, bemerkte der Korporal. »Ich bringe Ihnen sofort den Sprudel.«
Er ging zur Hütte, und während er die Flasche aus dem Eimer nahm, in dem sie die Getränke unter freiem Himmel kühlten, konnte er die soeben Angekommene in aller Ruhe mustern. Sie war über und über mit Schlamm bespritzt und ihr Haar wild zerzaust, und dennoch war sie wunderschön. Wie lange hatte er nicht mehr so eine Frau gesehen? Die Farbe ihrer Wangen, ihres Halses, ihrer Hände ließ in seinem Kopf eine Flut von Bildern aus seiner Jugend, aus seiner Heimat durcheinanderstürzen. Und was für Augen, Herr im Himmel. Halbgrün, halbgrau, halbichweißnichtwas. Und dieser Mund mit den ausgeprägten Lippen. Warum hatte er das Gefühl, sie zu kennen oder zumindest gesehen zu haben? Wie wäre sie wohl,wenn sie sich zurechtgemacht hätte, mit Rock, hohen Schuhen, Ohrringen, die Lippen feuerrot geschminkt? Was man nicht alles versäumte, wenn man eingesperrt in Naccos lebte. Es war nicht undenkbar, daß er ihr einmal begegnet war, irgendwo, als er in der Zivilisation und in der Wärme lebte. Sein Herz schlug schneller. War es Mechita? War sie es?
Er brachte ihr den Sprudel, sich entschuldigend:
»Tut mir leid, wir haben keine Gläser. Sie werden aus der Flasche trinken müssen.«
»Geht es ihm gut?« fragte ihn die Frau
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