Tod in den Anden
Sicuani scheel angeschaut, der seltsam aussah.«
»Und du glaubst, daß der kleine Stumme, Casimiro Huarcaya und der Vorarbeiter von den pishtacos ausgedörrt und zerteilt wurden?«
Der Gendarm nippte an dem Gläschen mit Anis.
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, so, wie die Dinge liegen, bin ich bereit zu glauben, was man mir vorsetzt. Allerdings bekomm ich es lieber mit pishtacos zu tun als mit Terroristen.«
»Du tust recht daran, leichtgläubig zu sein«, sagte der Korporal. »Wenn man verstehen will, was hier passiert, dann glaubt man besser an böse Geister.«
Diese jungen Franzosen in Andahuaylas, zum Beispiel. Sie hatten sie aus dem Bus geholt und ihnen die Gesichter zu Brei geschlagen, Radio Junín zufolge. Warum diese grausame Wut? Warum erschießen sie sie nicht einfach?
»Wir haben uns an die Brutalität gewöhnt«, sagte Tomasito, und Lituma bemerkte, daß sein Amtshelfer blaß war. Der Anis hatte Glanz in seine Augen gebracht und ihm die Zunge schwer gemacht. »Ich sage es wegen mir selbst, in aller Öffentlichkeit. Haben Sie von Oberleutnant Pancorvo gehört?«
»Nie im Leben.«
»Ich war in seiner Patrouille, als die Sache mit den Vikunjas passierte, in Pampa Galeras. Wir hatten einen zu fassen gekriegt, und der wollte das Maul nicht aufmachen. ›Hör auf, das Unschuldslamm zu spielen und mich anzuschauen, als würdest du nichts kapieren‹, sagte der Oberleutnant zu ihm. ›Ich warne dich, wenn ich anfange, dich zu behandeln, plapperst du wie ein Papagei.‹ Und wir haben ihn behandelt.«
»Was war das für eine Behandlung?« fragte Lituma.
»Ihn mit Streichhölzern und Feuerzeugen verbrennen«, erklärte Carreño. »Angefangen bei den Füßen und dann immer weiter hinauf. Mit Streichhölzern und Feuerzeugen, wie ich es Ihnen sage. Es ging ganz langsam. Sein Fleisch schmorte, es fing an, nach geröstetem Fett zu riechen. Ich war noch nicht dran gewöhnt, Herr Korporal. Ich mußte würgen, und fast wäre ich umgekippt.«
»Stell dir vor, was die Terroristen mit dir und mir machen werden, wenn sie uns lebend kriegen«, sagte Lituma. »Und du hast ihn auch behandelt? Und dann kommst du und veranstaltest ein solches Gezeter, weil der Chancho dieser Piuranerin in Tingo María ein paar Peitschenhiebe verpaßt hat?«
»Das Schlimmste haben Sie noch nicht gehört.« Tomasito, bleich geworden, sprach jetzt mit lallender Zunge. »Es stellte sich raus, daß er nicht mal Terrorist war, sondern geistig zurückgeblieben. Er redete nicht, weil er nicht konnte. Er konnte nicht sprechen. Einer aus Abancay erkannte ihn wieder. ›Aber Herr Oberleutnant, das ist doch der Depp aus meinem Dorf, wie soll er reden, wenn Pedrito Tinoco in seinem Leben keinen Muckser getan hat.‹«
»Pedrito Tinoco? Du willst sagen, unser Pedrito Tinoco? Der kleine Stumme?« Der Korporal stürzte mit einem Zug das neue Gläschen Anis hinunter. »Nimmst du mich auf den Arm, Tomasito? Verdammte Scheiße, verdammte Scheiße.«
»Er war der Wächter des Reservats, scheint es«, sagte Tomás, während er ebenfalls trank; er hielt das Glas mit zitternden Händen. »Wir haben ihn geheilt, so gut es ging. Wir haben für ihn in der Patrouille gesammelt. Alle haben wir uns schlecht gefühlt, sogar Oberleutnant Pancorvo. Und ich mehr als alle anderen zusammen. Deshalb hab ich ihn mit hergebracht. Haben Sie nie die Narben an seinen Füßen, an seinen Knöcheln gesehen? Das war meine Entjungferung,Herr Korporal. Seitdem erschreckt mich nichts mehr, tut mir nichts mehr weh. Ich bin abgehärtet, wie alle. Ich hab es Ihnen bislang nicht erzählt, weil ich mich geschämt habe. Und ohne den Anis hätte ich es Ihnen auch heute abend nicht erzählt.«
Um nicht an den kleinen Stummen denken zu müssen, versuchte Lituma, sich die Gesichter der drei Verschwundenen vorzustellen, verwandelt in eine blutige Masse, mit aufgeplatzten Augen, zermalmten Knochen, wie diese jungen Franzosen, oder auf kleinem Feuer geschmort, wie Pedrito Tinoco. Wie sollte er an etwas anderes denken können, verdammte Scheiße.
»Besser, wir gehen.« Er trank den Rest Anis und stand auf. »Bevor die Kälte schlimmer wird.«
Als sie hinausgingen, warf Dionisio ihnen eine Kußhand zu. Der Kantinenwirt lief zwischen den Tischen umher, die schon mit Hilfsarbeitern besetzt waren, und veranstaltete die gleichen Mätzchen wie jeden Abend: Er machte Tanzschritte, hob den Kunden eigenhändig den Schnaps oder das Bier an den Mund und ermunterte sie, da es keine Frauen gab,
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