Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
sollte. Er fühlte sich unbehaglich. Er glaubte nicht an Hexen. Und noch viel weniger an den Klatsch und das dumme Gerede, die im Lager und in der Gemeinde von Naccos über Adriana umgingen, wie die Geschichte, daß sie und ihr erster Mann, ein Bergarbeiter, mit eigenen Händen einen pishtaco umgebracht hatten. Aber er fühlte sich immer unsicher und verwirrt, wenn vom Jenseits die Rede war. Konnte man die Geschichte der Menschen in den Linien der Hand lesen? In den Karten? In den Kokablättern?
    »Sie wird ein gutes Ende finden, du brauchst also nicht zu verzweifeln«, schloß Señora Adriana, während sie die Hand des Gendarmen losließ. »Ich weißnicht, wann. Vielleicht mußt du noch etwas länger leiden. Die sind gierig, sie werden nie müde, mehr und mehr zu verlangen. Aber was dich jetzt ausblutet, wird gut ausgehen.«
    Sie schnaufte noch einmal und wandte sich zu Lituma um.
    »Versuchen Sie, sich bei uns einzuschmeicheln, damit wir die Verschwundenen vergessen, Señora?«
    Die Hexe ließ abermals ihr Lachen vernehmen.
    »Ihnen würde ich nicht aus der Hand lesen, auch wenn Sie mich bezahlen würden, Korporal.«
    »Und ich würde es auch nicht zulassen. Verdammt nochmal, was ist denn mit dem da los?«
    Angeregt durch seine eigene Phantasie, immer lauter singend, hatte Dionisio begonnen, mit geschlossenen Augen auf der Stelle zu tanzen, in einem Zustand höchster Konzentration. Als der Gendarm Carreño ihn am Arm faßte und ihn schüttelte, stand der Kantinenwirt still, öffnete die Augen und ließ einen erstaunten Blick über sie wandern, als sähe er sie zum ersten Mal.
    »Hör auf, den Betrunkenen zu spielen, so voll bist du nicht«, sagte Lituma zu ihm. »Kehren wir zum Thema zurück. Werden Sie mir endlich sagen, was mit diesen Leuten passiert ist? Dann laß ich Sie gehen.«
    »Weder ich noch mein Mann haben etwas gesehen«, sagte sie, mit Härte in den Augen und in der Stimme. »Gehen Sie und ziehen Sie denen die Wahrheit aus der Nase, die behaupten, wir wären die Anstifter.«
    »Wie dem auch sei, was geschehen ist, ist geschehen und nicht mehr zu ändern, mein Herr Korporal«, psalmodierte Dionisio. »Machen Sie sich klar, daß es nutzlos ist. Gehen Sie nicht gegen das Schicksal an, begreifen Sie, daß das vergeblich ist.«
    Plötzlich hörte es auf zu regnen, und gleich darauf erstrahlte die Außenwelt im Licht einer mittäglichen Sonne. Lituma konnte einen Regenbogen sehen, der die Berge um das Lager krönte, über dem kleinen Eukalyptuswäldchen. Der Erdboden, von glänzenden Pfützen und kleinen Bächen durchzogen, wirkte wie aus Quecksilber. Und am Horizont der Kordillere, wo Steine und Himmel sich berührten, erschien jene seltsame Färbung zwischen Violett und Maulbeerfarben, die er auf so vielen Röcken und Umschlagtüchern der Indiofrauen oder auf den wollenen Taschen gesehen hatte, die die Bauern den Lamas um die Ohren hängten, und die für ihn die Farbe schlechthin der Anden geworden war, dieses so geheimnisvollen, so von Gewalt erfüllten Gebirges. Carreño war nach den Worten der Hexe nachdenklich geworden und stand wie abwesend da. Aber ja, Tomasito: sie hatte dir gesagt, was du hören wolltest.
    »Wo wollen Sie uns denn einsperren?« Señora Adriana ließ einen verächtlichen Blick durch die Hütte wandern. »Hier? Werden wir vier hier zusammen schlafen, einer auf dem anderen?«
    »Ist ja gut, ich weiß, daß wir kein Revier haben, das Ihnen angemessen ist«, sagte Lituma. »Sie werden sichmit den Gegebenheiten abfinden müssen. Dieser Posten ist auch uns nicht angemessen, nicht wahr, Tomasito?«
    »Ja, Herr Korporal«, murmelte der Gendarm, zu sich kommend.
    »Lassen Sie wenigstens Dionisio gehen. Wer soll sich denn sonst um die Kantine kümmern. Man wird uns alles rauben, und das bißchen Krimskrams ist alles, was wir haben.«
    Lituma musterte sie erneut voll Neugierde. Dick, formlos, in ihre Trödlerlumpen gehüllt, nur mit ihren ausladenden Hüften der Welt verkündend, daß sie eine Frau war, sprach die Hexe ohne die geringste Gefühlsregung, als gelte es, eine Formalität zu erledigen, und zeigte damit, daß es ihr im Grunde egal war, was mit ihr geschehen mochte. Dionisio schien sein Schicksal noch mehr zu verachten als sie. Er hatte wieder halb die Augen geschlossen und sich aus der Welt zurückgezogen. Als würden sie beide weit über all dem stehen. Sie saßen noch immer auf ihrem Thron, verdammte Scheiße.
    »Lassen Sie uns einen Handel machen«, sagte Lituma schließlich,

Weitere Kostenlose Bücher