Tod in den Anden
plötzlich mutlos geworden. »Sie werden mir Ihr Wort geben, daß Sie sich nicht aus dem Lager entfernen. Nicht einmal zwanzig Meter. Unter dieser Bedingung werde ich erlauben, daß Sie in Ihrem Lokal wohnen, während wir unsere Nachforschungen anstellen.«
»Und wohin sollten wir gehen?« Dionisio öffnetehalb die Augen. »Wenn wir könnten, wären wir längst fort. Halten die sich denn nicht hier in diesen Bergen versteckt, mit den Steinen in der Hand? Naccos ist ein Gefängnis geworden, und Sie und wir sind Gefangene. Haben Sie das noch nicht gemerkt, mein Herr Korporal?«
Die Frau stand mühsam auf, an ihrem Ehemann Halt suchend. Und beide verließen die Hütte, ohne sich von den Polizisten zu verabschieden. Sie entfernten sich mit kurzen Schritten, wobei sie sich an die Felssteine oder an die Erhebungen hielten, wo es am wenigsten Schlamm gab.
»Du bist ja förmlich erstarrt bei dem, was die Hexe in deiner Hand gelesen hat, Tomasito.«
Lituma bot ihm eine Zigarette an. Sie rauchten, während sie zusahen, wie die Gestalten Dionisios und Adrianas auf dem Berghang kleiner wurden und verschwanden.
»Hat dich das beeindruckt, das mit dem großen Liebeskummer?« Lituma stieß einen Mundvoll Rauch aus. »Bah, den hat jeder, der eine mehr, der andere weniger. Oder glaubst du, du bist der einzige, der wegen eines Mädchens leidet?«
»Sie haben mir gesagt, daß Sie das nie erlebt haben, Herr Korporal.«
»Na ja, aber meine Liebeleien hab ich doch gehabt«, sagte Lituma leicht pikiert. »Sie sind nur gleich wieder vorbei. Fast immer mit Freudenmädchen. Einmal, in Piura, in diesem Grünen Haus, von dem ichdir erzählt habe, hab ich mich wahnsinnig in eine kleine Dunkelblonde verliebt. Aber, um die Wahrheit zu sagen, so weit, daß ich Lust gehabt hätte, mich wegen einer Frau umzubringen, ist es mit mir nicht gekommen.«
Sie rauchten eine Weile schweigend. Unten, am Fuß des Berghangs, begann eine kleine Gestalt den Weg zu erklimmen, in Richtung Posten.
»Ich glaube, wir werden nie erfahren, was mit den dreien passiert ist, Tomasito. Wirklich, so sehr die vom Lager auch zu verstehen geben, daß Dionisio und Doña Adriana mit der Sache zu tun haben, mir will das nicht in den Kopf.«
»Mich kostet es auch Mühe, das zu glauben, Herr Korporal. Aber wie erklärt es sich, daß sämtliche Arbeiter sie am Ende anklagen?«
»Das erklärt sich, weil diese Indios alle abergläubisch sind und an Teufel, pishtacos und mukis glauben«, sagte Lituma. »Und da Dionisio und seine Frau halbe Hexer sind, bringen sie sie mit den Verschwundenen in Verbindung.«
»Bisher habe ich ja an nichts dergleichen geglaubt«, versuchte der Gendarm zu scherzen. »Aber nach dem, was Doña Adriana in meiner Hand gelesen hat, glaube ich eher daran. Das mit dem großen Herzen hat mir gefallen.«
Lituma konnte die heraufkommende Person bereits erkennen: Sie trug einen Bergarbeiterhelm, der im Licht des nun strahlendblauen, wolkenlosen Nachmittagsaufblitzte. Wer würde glauben, daß es noch vor wenigen Minuten Platzregen, Donner, dicke schwarze Wolken gegeben hatte?
»Da haben wir’s, die Hexe hat dich gekauft.« Lituma ging auf seinen Scherz ein. »Diese drei wirst doch nicht etwa du aus dem Verkehr gezogen haben, Tomasito?«
»Wer weiß, Herr Korporal.«
Am Ende lachten sie, nervös und mit unechtem Gekicher. Und gleichzeitig, während Lituma den Mann mit dem Helm schon ganz nah sah, ging ihm Pedrito Tinoco nicht aus dem Kopf, der kleine Stumme, der Besorgungen machte, der die Baracken putzte, der mit seinen Augen das Massaker an den Vikunjas in Pampa Galeras gesehen hatte. Seit Tomasito ihm seine Geschichte erzählt hatte, war er ihm fast die ganze Zeit gegenwärtig. Warum sah er ihn immer an diesem Ort, zwischen dem Schutzwall und den grauen Felsen, wie er die Wäsche wusch? Der mit dem Helm trug eine Pistole am Gürtel und einen Stock, wie ihn ähnlich die Polizei benutzte. Aber er trug Zivilkleidung, Jeans und eine weite Jacke, an deren rechtem Ärmel eine schwarze Binde erkennbar war.
»Es ist klar, daß viele hier ganz genau wissen, was passiert ist, auch wenn sie den Mund nicht auftun wollen. Die einzigen Trottel, die auf dem Mond leben, das sind du und ich. Fühlst du dich nicht saublöd hier in Naccos, Tomasito?«
»Ich habe eher das Gefühl, daß ich keinem trauenkann. Natürlich wissen alle etwas, obwohl sie lügen und die Schuld auf den Kantinenwirt und seine Frau schieben. Ich glaube sogar, daß sie sich abgesprochen haben, um
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