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Tod in den Wolken

Tod in den Wolken

Titel: Tod in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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gebeten hätten. Mithin wissen Sie etwas über den Kundenkreis Madame Giselles?»
    «Ich will es Ihnen erklären. Madame erwähnte nie einen Namen, sie redete nie über geschäftliche Angelegenheiten mit mir. Doch schließlich ist man Mensch, nicht wahr? Bisweilen sprach Madame zu mir wie zu sich selbst, ganz so, als wäre ich gar nicht anwesend…»
    «Ein Beispiel bitte, Mademoiselle», fiel Poirot ein.
    «Ein Beispiel…? Warten Sie, ich will nachdenken – ah ja! Sagen wir, ein Brief kommt. Madame öffnet ihn. Sie lacht auf, kurz und trocken, und murmelt: ‹Du heulst und jammerst, meine feine Dame. Doch das hilft dir nichts – zahlen musst du trotzdem.› Oder sie pflegte mir gegenüber zu äußern: ‹Was für Narren! Was für Narren! Sich einzubilden, ich liehe ihnen große Summen ohne eine entsprechende Sicherheit! Wissen ist Sicherheit, Elise. Wissen ist Macht.› Dergleichen Worte ließ sie bisweilen fallen.»
    «Haben Sie je einige von Madames Kunden gesehen?»
    «Nein, Monsieur. Sie blieben ja unten im ersten Stock, und sehr oft kamen sie erst nach Einbruch der Dunkelheit.»
    «Ist Ihre Herrin vor ihrer Reise nach England hier gewesen?»
    «Sie kehrte erst tags zuvor heim.»
    «Von wo?»
    «Sie hatte vierzehn Tage in Deauville, Le Pinet, Paris-Plage und Wimereux zugebracht – ihre übliche Septemberrunde. Als sie zurückkam, war sie sehr gut gelaunt. Die Geschäfte gingen vortrefflich, sagte sie, die Tour habe sich gelohnt. Dann befahl sie mir, die Universal Airlines anzurufen und für den nächsten Tag einen Platz nach England zu buchen. Für das Flugzeug, das in der Frühe abgeht, war kein Platz mehr erhältlich, doch bekam sie noch einen für den Mittagsflug.»
    «Und der Grund ihrer Reise? Lag etwas Dringendes vor?»
    «O nein, Monsieur. Madame reiste ziemlich häufig nach England und teilte es mir meistens erst einen Tag vorher mit.»
    «Fand sich an jenem Abend einer ihrer Kunden ein?»
    «Ich glaube, doch ich bin nicht sicher. Möglicherweise weiß Georges es.»
    Fournier kramte jetzt etliche Bilder hervor – Fotografien, von Presseleuten aufgenommen, als die Zeugen das Gerichtsgebäude nach dem Verhandlungstermin verließen.
    «Können Sie irgendwen wieder erkennen, Mademoiselle?»
    Elise Grandier betrachtete die einzelnen Aufnahmen gewissenhaft und gab sie dem Beamten zurück.
    «Nein, Monsieur.»
    «Dann müssen wir es bei Georges versuchen.»
    «Ja. Leider hat Georges ziemlich schlechte Augen.»
    Fournier schob sein Notizbuch in die Tasche.
    «Nun wollen wir nicht länger stören. Kommen Sie, Poirot. Was ist los? Suchen Sie etwas?»
    Tatsächlich wanderte Hercule Poirot im Zimmer umher und schaute in alle Winkel.
    «Ja, ich halte nach etwas Ausschau, was ich nicht sehe.»
    «Was denn?»
    «Bilder. Bilder von Madame Giselles Verwandten – von ihrer Familie.»
    «Sie hatte keine Familie», erklärte Elise. «Sie war ganz allein.»
    «Sie hatte eine Tochter», gab Poirot prompt zur Antwort.
    «Ja, eine Tochter wohl.» Die Wirtschafterin seufzte.
    «Soviel ich weiß, hat Madame das Kind aber zuletzt als Baby gesehen.»
    «Wieso…?»
    «Ich weiß es nicht. Das spielte sich in den Tagen ab, als Madame jung war – jung, hübsch und arm. Vielleicht war sie auch verheiratet, vielleicht aber auch nicht. Ich möchte fast Letzteres annehmen. Zweifellos traf sie irgendwelche Anordnungen wegen des Kindes. Madame erkrankte nämlich an den Pocken, kämpfte mit dem Tode, und als sie genas, war ihre Schönheit dahin. Von da an gab es keine Torheiten mehr, keine Romanzen, nur noch Geschäfte.»
    «Aber sie hat ihr Vermögen dieser Tochter vermacht?»
    «Gewiss. Wem hätte sie es sonst vermachen sollen, wenn nicht ihrem eigenen Fleisch und Blut? Blut ist dicker als Wasser, und Freunde besaß Madame nicht. Geld war ihre Leidenschaft – immer mehr davon zusammenzuraffen. Sie verbrauchte sehr wenig, da sie für Luxus nichts übrig hatte.»
    «Wissen Sie, dass sie Ihnen ein Legat ausgesetzt hat?»
    «Ja. Madame war immer großmütig. Abgesehen von meinem Lohn, erhielt ich jedes Jahr eine schöne Summe. Ich bin Madame sehr zu viel Dank verpflichtet.»
    «So, nun wollen wir aber wirklich gehen», sagte Fournier. «Unten werde ich nur noch ein paar Worte mit dem alten Georges wechseln.»
    «Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen in zwei Minuten folge», bat plötzlich Hercule Poirot.
    «Wie Sie wünschen.»
    Fournier verschwand, und noch einmal durchwanderte Poirot das Zimmer. Dann setzte er sich und betrachtete stumm

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