Tod in den Wolken
Minuten später fest schlief.
In Paris begaben sie sich vom Flugplatz schnurstracks in die Rue Joliette, die auf der Südseite der Seine liegt. In nichts unterschied sich Nummer drei von den anderen Häusern. Ein alter Pförtner ließ sie ein und begrüßte Fournier recht mürrisch.
«Also schon wieder die Polizei! Nichts als Ungelegenheiten. Das wird dem Haus einen schönen Ruf eintragen…!» Knurrend schlurfte er in sein Zimmer zurück.
«Wir wollen zuerst Giselles Büro einen Besuch abstatten», schlug Fournier vor.
Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und erklärte, dass die französische Polizei beschlossen habe, bis zum Bekannt werden des Ergebnisses der englischen Voruntersuchung die Tür abzusperren und zu versiegeln.
Madame Giselles Büro war ein kleiner, dumpfer Raum, in dessen einer Ecke ein Geldschrank veralteter Bauart stand. Ein Schreibtisch, nüchtern und geschäftsmäßig, sowie mehrere schäbig gepolsterte Stühle bildeten das Mobiliar. Das einzige Fenster überzog eine Schmutzschicht; man hatte das Gefühl, als sei es noch niemals geöffnet worden.
Poirot nahm in dem Schreibtischsessel Platz, und seine Hand strich sanft über die hölzerne Oberfläche des Tisches. Dann betastete sie ihn von unten.
«Oh, hier ist der Drücker für eine Glocke», rief er.
«Ja. Sie klingelt unten beim Pförtner.»
«Eine weise Maßnahme! Madames Klienten sind vielleicht bisweilen laut geworden.»
Er öffnete ein paar Schubladen, die einen Kalender, Schreibutensilien, Federn und Bleistifte, aber weder Briefschaften noch irgendetwas von persönlicher Art enthielten, und schob sie nach einem flüchtigen Blick wieder zu.
«Ich würde Sie durch eine gründliche Untersuchung beleidigen, mein Freund», sagte er zu Fournier. «Wenn hier etwas zu finden gewesen wäre, würden Sie es bestimmt gefunden haben.» Dann wies er auf den Geldschrank. «Kein einbruchsicheres Modell!»
«Nein. Sogar ziemlich altmodisch.»
«War er leer?»
«Ja. Die verflixte Wirtschafterin hatte ja alles vernichtet.»
«Ah… die Vertrauensperson! Wir müssen sie sehen, denn dieser Raum hier sagt uns nichts. Übrigens sehr bezeichnend, nicht wahr?»
«Wieso bezeichnend?»
«Nun, dieses Fehlen jeder persönlichen Note – ich finde das interessant.» Er erhob sich. «Kommen Sie. Reden wir mit der Wirtschafterin, dieser so überaus gewissenhaften Frau.»
Elise Grandier, nicht mehr jung, mit einem runden Gesicht und kleinen pfiffigen Augen, warf einen raschen Blick auf Fournier, dann auf Poirot und wieder auf den Beamten der Pariser Sûreté.
«Setzen Sie sich, Mademoiselle Grandier.»
«Danke, Monsieur.» Gelassen nahm sie Platz.
«Monsieur Poirot und ich sind heute von London zurückgekehrt», begann Fournier. «Die amtliche Leichenschau, das heißt die Voruntersuchung wegen des Todes von Madame, fand gestern statt. Es besteht kein Zweifel, dass Madame vergiftet wurde.»
«Wie schrecklich, Monsieur! Madame vergiftet! Wer hätte sich so etwas wohl träumen lassen!»
«Vielleicht können Sie uns bei unserer Arbeit helfen, Mademoiselle.»
«Gewiss will ich die Polizei unterstützen, so gut ich vermag. Doch ich weiß nichts – absolut nichts.»
«Sie wissen aber, dass Madame Feinde hatte», sagte Fournier scharf.
«Das ist nicht wahr. Warum sollte Madame Feinde gehabt haben?»
«Aber ich bitte Sie, Mademoiselle Grandier. Eine Geldverleiherin…»
«Ja, bisweilen waren Madames Klienten ziemlich unvernünftig», gab Elise zu.
«Sie machten Szenen, wie? Sie drohten?»
Die behäbige Frau schüttelte den Kopf. «Nein, nein, da irren Sie, Monsieur. Nicht die waren es, die drohten; die winselten, die klagten, beteuerten, dass sie nicht zahlen könnten – all das, ja.»
«Vielleicht konnten sie manchmal tatsächlich nicht zahlen, Mademoiselle», mischte Poirot sich ein.
«Möglich.» Elise Grandier zuckte geringschätzig die Schultern. «Das ist deren Sache. Gewöhnlich aber zahlten sie schließlich.»
«Madame Giselle war eine harte, gefühllose Frau», sagte Fournier.
«Madame war gerecht.»
«Sie haben kein Mitleid mit ihren Opfern?»
«Opfer… Opfer…», wiederholte Elise ungeduldig. «Sie verstehen das nicht. Ist es etwa nötig, sich in Schulden zu stürzen, über die Verhältnisse zu leben, herumzulaufen und zu pumpen? Und dann noch obendrein zu erwarten, dass ihnen das Geld geschenkt wird? Ah, das ist nicht recht und billig! Madame war stets anständig und korrekt. Sie lieh – und sie erwartete die Rückzahlung des
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