Tod in den Wolken
und außerdem schien es mir, als ob sie sich freute, wenn bei den Geschäften Engländer in ihre Gewalt gerieten. Verstehen Sie mich recht, Monsieur, es ist nur eine Vermutung…»
«… die wertvoll sein mag und Möglichkeiten eröffnet», ergänzte der Belgier. «Und Ihr eigenes Kind, Mademoiselle? War es ein Mädchen oder ein Knabe?»
«Ein Mädchen. Aber es ist tot – schon fünf Jahre.»
«Oh, das tut mir herzlich leid.» Poirot ließ ein paar Sekunden verstreichen. «Mademoiselle Elise, was haben Sie denn nun eigentlich verheimlicht?»
Die Wirtschafterin stand auf und verließ das Zimmer. Als sie nach etlichen Minuten zurückkehrte, hielt sie ein kleines, abgegriffenes schwarzes Notizbuch in der Hand.
«Dies Büchlein gehörte Madame und begleitete sie überallhin. Bei ihrer Abreise nach England konnte sie es aber nicht finden. Als sie fort war, entdeckte ich es hinter dem Kopfende ihres Bettes und nahm es mit in mein Zimmer, um es bis zu Madames Heimkehr aufzubewahren. Als die Todesnachricht eintraf, verbrannte ich wie befohlen die Papiere, aber nicht das Buch, weil davon nie die Rede war.»
«Wann erfuhren Sie die Nachricht?»
Elise zögerte, sodass Poirot ihr die Antwort ersparte.
«Sie erfuhren sie durch die Polizei, die Madames Papiere durchsehen wollte und den Safe leer fand. Und aus Treue gegenüber der Toten gaben Sie an, dass Sie die Papiere verbrannt hätten. In Wirklichkeit haben Sie sie aber erst hinterher verbrannt.»
«Sie haben Recht, Monsieur», gestand Elise Grandier. «Während die Polizisten unten alles durchstöberten, holte ich die Papiere aus der Truhe und vernichtete sie, sobald sich mir die Gelegenheit dazu bot. Ich musste Madames Auftrag ausführen. Verstehen Sie das nicht? Aber bitte, sagen Sie es nicht der Polizei.»
«Ich glaube, dass Sie sich von den besten Absichten leiten ließen. Dennoch… aber warum an etwas Unabänderliches Bedauern verschwenden? Eine Notwendigkeit, Monsieur Fournier über die genaue Stunde der Vernichtung aufzuklären, besteht nicht. Jetzt möchte ich aber sehen, ob das Büchlein uns von Nutzen sein kann.»
«Kaum, Monsieur. Die Nummern, die es enthält, sind ohne die Dokumente und Listen bedeutungslos.»
Hercule Poirot nahm ihr das Notizbuch, von dem sie sich sichtlich ungern trennte, aus der Hand und blätterte darin. Neben den Nummern standen Worte, Bleistifteintragungen in einer schrägen Schrift, die sich alle zu gleichen schienen. Der Nummer folgten stets einige wenige erläuternde Einzelheiten, zum Beispiel:
«CX 265. Frau eines Colonel. Steht zur Zeit in Syrien. Regimentsgelder.
GF 342. Französischer Abgeordneter. Verbindung mit Stavisky.»
Ganz am Ende des Buches waren mit Bleistift Verabredungen vermerkt, etwa:
«Le Pinet, Montag halb elf, Kasino. Savoy Hotel, fünf Uhr.
A. B. C. Fleet Street, elf Uhr.»
Elise Grandier beobachtete Poirot ängstlich.
«Nicht wahr, es ist bedeutungslos, Monsieur? Madame verstand es natürlich, aber nicht ein uneingeweihter Leser.»
Hercule Poirot ließ das Büchlein in seiner Tasche verschwinden. «Es kann sich als ungemein wertvoll erweisen, Mademoiselle. Sie taten klug daran, es mir anzuvertrauen. Und Gewissensbisse brauchen Sie sich nicht zu machen, denn Madame Giselle verlangte ja niemals, dass Sie das Buch verbrennen sollten.»
«Ja, das stimmt», sagte Elise, und ihr Gesicht erhellte sich etwas.
«Infolgedessen ist es Ihre Pflicht, es der Polizei auszuhändigen. Im Übrigen werde ich dafür sorgen, dass Ihnen aus Ihrer Geheimniskrämerei keine Ungelegenheiten erwachsen.»
«Ich danke Ihnen, Monsieur.»
Jetzt endlich griff Poirot nach seinem Hut.
«Nun will ich meinen Kollegen nicht länger warten lassen. Doch halt – noch eine Frage. Als Sie den Platz für Madame Giselle buchten, riefen Sie da den Flugplatz Le Bourget an oder das Büro der Gesellschaft?»
«Das Büro der Universal Airlines, Monsieur.»
«Auf dem Boulevard des Capucines, nicht wahr?»
«Ja, Boulevard des Capucines Nr. 245.»
Hercule Poirot notierte sich die Nummer und ging mit ein paar freundlichen Abschiedsworten hinaus.
11
Fournier, erhitzt und verärgert aussehend, unterhielt sich mit dem alten Georges.
«Was Besseres hat die Polizei wohl nicht zu tun, als einem wieder und immer wieder dieselben Fragen zu stellen?», kläffte der Alte mit seiner heiseren Stimme. «Wofür eigentlich? Hat sie die Hoffnung, dass man früher oder später von der Wahrheit abweicht und ihr Lügen auftischt?
Weitere Kostenlose Bücher