Tod in den Wolken
Angenehme Lügen natürlich, Lügen, die diesen Herren in den Kram passen!»
«Ich verlange keine Lügen, sondern die Wahrheit.»
«Na also, die Wahrheit habe ich Ihnen ja bereits gesagt. Ja, Madame erhielt, bevor sie nach England reiste, Besuch von einer Dame. Da zeigen Sie mir diese Bilder, da bestürmen Sie mich, ob ich nicht die Frau unter ihnen wieder erkenne. Begreifen Sie denn nicht, was ich Ihnen bereits ein dutzend Mal auseinandersetzte? Dass ich schwache Augen habe? Dass es schon dunkel wurde? Dass ich sie nicht aus der Nähe sah? Kurz und gut: Ich erkenne die Dame nicht wieder, und wenn sie mir gegenüberstände, würde ich sie vermutlich auch nicht wieder erkennen. Fünfmal hab ich Ihnen das nun schon vorgekaut!»
«Und Sie erinnern sich auch nicht, ob sie klein oder groß, jung oder alt war? Das kann ich Ihnen wirklich kaum glauben», sagte Fournier erzürnt.
«Dann glauben Sie es eben nicht. Was kümmert’s mich… Eine Bekanntschaft mit der Polizei – na, das wünsche ich meinem ärgsten Feinde nicht! Wenn Madame nicht hoch oben in der Luft getötet worden wäre, würden Sie wahrscheinlich behaupten, ich, Georges, hätte sie vergiftet. Das sähe der Polizei ähnlich.»
Hercule Poirot kam einer erbosten Antwort Fourniers zuvor, indem er dessen Arm nahm. «Der Magen meldet sich, mon c her. Ein einfaches, aber schmackhaftes Mahl, lautet mein Rezept.»
Fournier schaute auf die Uhr.
«Wahrhaftig, es ist eins. Mit diesem Menschen hier sich abzurackern…» Grimmig starrte er Georges an.
Poirot lächelte dem Alten ermutigend zu.
«Wir verstehen uns, die namenlose Dame war weder groß noch klein, weder blond noch dunkel, weder fett noch schlank. Doch eines können Sie mir bestimmt sagen: War sie schick?»
«Schick?», wiederholte Georges, ziemlich fassungslos.
«Das genügt. Sie war also schick. Und ich habe das Gefühl, dass ihr ein Badeanzug ausgezeichnet stehen müsste.»
Georges riss verdutzt die Augen auf und plapperte wieder nach:
«Badeanzug…? Was wollen Sie mit einem Badeanzug?»
«Oh, nur ein kleiner Einfall von mir. Eine reizende Frau sieht in einem Badeanzug noch reizender aus. Sind Sie anderer Meinung? Da, schauen Sie her!»
Er reichte dem Alten eine aus dem Magazin Sketch herausgerissene Seite, und es entging ihm nicht, wie dieser beim Anblick des Bildes zusammenzuckte.
«Eh, sind Sie jetzt meiner Meinung?»
«Wenn die beiden da überhaupt nichts anhätten, machte es auch nicht viel Unterschied», sagte der Pförtner nach einer verdächtig langen Pause.
«Gönnen wir es ihnen doch, den wohltuenden Einfluss der Sonne auf ihrer Haut zu spüren», lächelte Hercule Poirot, woraufhin Georges sich zu einem heiseren Gekicher herabließ.
Beim Mittagessen, das ganz Poirots Geschmack entsprach, holte der kleine Belgier Madame Giselles schwarzes Büchlein hervor und trat tapfer für Elise Grandier ein.
«Es ist natürlich, sehr natürlich. Die Polizei – bei diesem Wort erzittern Leute von Elises Bildung und Klasse. Überall, in jedem Land, werden Sie diese Erfahrung machen.»
«Und da ernten Sie dann Ihre Lorbeeren», entgegnete Fournier. «Der Privatdetektiv holt stets mehr aus den Zeugen heraus als die Behörden. Indes gibt es auch eine Kehrseite des Bildes. Uns steht der ganze amtliche Apparat zur Verfügung.»
«So lassen Sie uns freundschaftlich zusammenarbeiten», lächelte Hercule Poirot. «Dies Omelett ist übrigens ausgezeichnet.»
Fournier blätterte in dem schwarzen Büchlein. Dann machte er eine Eintragung in sein eigenes Notizbuch.
«Haben Sie alles durchgelesen?», fragte er Poirot.
«Nein. Gestatten Sie?»
Jetzt vertiefte Poirot sich in Madame Giselles Aufzeichnungen, und als der Käse serviert wurde, legte er das Buch auf den Tisch.
«Gewisse Vermerke…», begann Fournier.
«Fünf», berichtete Poirot.
«Zugegeben – fünf.» Und aus seinem Notizbuch las der Franzose vor:
«CL 52. Englische Gräfin. Gatte; RT 362. Doktor, Harley Street; MR 24. Fälschte Antiquitäten; XVB 724. Engländer. Unterschlagung; GF 45. Versuchter Mord. Engländer.»
«Großartig, mon ami», lobte Hercule Poirot. «Von all den Eintragungen scheinen nur jene fünf irgendeine Beziehung zu den Passagieren der ‹Prometheus› zu haben. Nehmen wir sie uns einmal der Reihe nach vor.»
«Englische Gräfin, Gatte», sagte Fournier. «Damit könnte Lady Horbury gemeint sein. Sie ist, wie man mir berichtete, eine leidenschaftliche Spielerin. Nichts wäre demnach
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