Tod in der Marsch
die Tür und hat mit den Fremden heftig gestritten. Sah
jedenfalls so aus … Der Fremde is dann wech … Der is auch nie wieder
aufgetaucht.«
Ein Kunde betrat den Laden. Die Verkäuferin bediente
ihn, bevor Christoph die nächste Frage stellen konnte:
»Was war das für ein Mann? Wie hat er ausgesehen?«
»Wie soll ich den beschreiben? War nich von hier. Sah
so’n bisschen fremd aus …«
»Vielleicht ein Türke?«, hakte Christoph nach.
»Woher soll ich wissen, wie’n Türke aussieht? So viele
von die gibt’s hier ja nich. Und außerdem seh’n die doch alle ähnlich aus, die
Türken, die anderen aus Dingsbums … na, ich komm da im Moment nich drauf … Nee,
wie die Türken, die man in Fernsehn immer sieht, hat er nich ausgesehn.«
Nach ihrer Rückkehr in die Dienststelle hatte Große
Jäger schnell und auf nur ihm bekannten Wegen die Telefonnummern der von Peter
Dahl genannten Angehörigen besorgt. Mommsen übernahm es, diese Liste
durchzutelefonieren und die Verwandten zu fragen, ob Anne Dahl mit ihrer
Tochter bei ihnen wäre. Niemand hatte etwas von Anne und Lisa gehört.
Es war früher Nachmittag. Seit wenigen Stunden war
Christoph auf diesem Außenposten am Rande Deutschlands tätig. Nichts hätte ihn
freiwillig hierher gebracht. Und anstatt sich mit den Aufgaben, die vor ihm
lagen, vertraut zu machen und sich in die offenen Fälle einzuarbeiten, hatte er
in einer Eheangelegenheit herumgestöbert. Und das Ganze nur, weil eine Lehrerin
Besorgnis darüber geäußert hatte, dass eine Schülerin seit ein paar Tagen nicht
mehr zum Unterricht erschienen war. Es gab in keiner Weise Anhaltspunkte, die
eine polizeiliche Aktivität rechtfertigen würden, ja, es gab nicht einmal eine
Anzeige gegen unbekannt, die so oft die polizeiliche Ermittlungsarbeit
erschwerte, Einsatz forderte und sich dann als Windei erwies.
»Wir werden in dieser Angelegenheit nichts weiter
unternehmen«, beschloss er. »Es liegen wichtigere Aufgaben vor uns. Man wird
uns für verrückt erklären, wenn wir irgendjemandem Rechenschaft darüber ablegen
müssten, was die Kripo in Husum einen ganzen Tag lang gemacht hat.«
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Frau
Fehling bat ihn, sofort zum Chef zu kommen.
*
Grothe hatte kein Wort der Begrüßung fallen lassen,
sondern mit seiner Zigarre auf den Besucherstuhl gewiesen.
»Sie haben sich heute mit Ihrer ganzen Mannschaft
intensiv um eine Angelegenheit gekümmert, die keine ist«, bellte er los.
Christoph wollte etwas entgegnen, doch der Polizeioberrat ließ ihn nicht zu
Wort kommen. »Auch wenn Sie glauben, ich wäre nicht zuständig. Was in meinem
Bereich geschieht, geht mich grundsätzlich etwas an. In dieser Region bin ich
der Chef!«, donnerte er in den Raum. »Zumindest was die polizeilichen Belange
anbetrifft«, ergänzte er etwas ruhiger.
Er forderte Christoph auf, zu berichten. Aufmerksam
hörte er zu, um zwischendurch vorsichtig die Glut seiner Zigarre anzublasen.
»So«, kommentierte der rotgesichtige Mann hinter dem
Schreibtisch, als Christoph seinen Vortrag abgeschlossen hatte. »Sie sind also
heute den ganzen Tag zu dritt einer Eheangelegenheit hinterhergestiegen und
haben herausgefunden, dass Herr Dahl vermutet, seine Frau würde ihn mit einem
Unbekannten, vielleicht einem türkischen Mitbürger, betrügen.« Grothe lehnte
sich im Schreibtischsessel zurück, dass die Lehnen knarrten. »Und nun? Sind
Ihre Ermittlungen abgeschlossen? Insbesondere würde mich einmal interessieren,
wie Sie ein Phantom – denn mehr gibt es ja nicht – für eine nicht begangene Tat
sicher im Zuchthaus wegsperren wollen.« Er sagte wirklich »Zuchthaus«. »So ein
Geist entwischt Ihnen doch gleich wieder.«
Grothe grinste jetzt unverschämt breit, wobei seine
wulstigen Lippen sich öffneten und eine ganze Reihe von Goldplomben sichtbar
werden ließen.
Unvermittelt schoss es Christoph durch den Kopf, dass
dieser Mann bei so viel Edelmetall im Mund aus Sicherheitsgründen eigentlich
mit dem Kopf im Tresor schlafen müsste. Doch für heitere Überlegungen war nicht
der richtige Zeitpunkt. Stattdessen sackte Christoph im Stuhl in sich zusammen.
Sein Start an diesem Ort stand wirklich unter einem ungünstigen Stern.
Grothes Grinsen ging unvermittelt in ein dröhnendes
Lachen über. Der dicke Leib bewegte sich dabei heftig auf und ab, und nur die
besondere Stabilität der breiten Hosenträger verhinderte es, dass diese rissen
und sich pfeilartig verselbständigten.
»Wissen Sie, mein
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