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Tod in der Marsch

Tod in der Marsch

Titel: Tod in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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gerückt«, erklärte
Christoph.
    »Ein Jude war seinerzeit natürlich noch den vielen
Verbohrten ein Dorn im Auge«, ergänzte Grothe, »und so könnte es für
irgendjemanden Grund genug gewesen sein, mit einer anonymen Anzeige dem Herrn
Grün einen Stachel ins Fleisch zu setzen.«
    »Mithin gilt Leo Grün rechtlich als unschuldig. Für
uns Polizisten ist der Umgang mit solchen Situationen immer ein besonderes
Problem. Wie sollen wir damit umgehen? Es ist schlimm genug, wenn ein fader
Nachgeschmack bleibt, der durch einen bösartigen Denunzianten verursacht wurde.
Andererseits können wir selbst anonyme Hinweise nicht ignorieren, wenn Kinder
betroffen sind. Immer wieder sind wir mit Situationen konfrontiert, in denen
Konkretes nicht greifbar ist. Die eigenen Gefühle, von denen sich auch ein
Ermittlungsbeamter nicht vollends frei machen kann, erschweren es uns aber,
objektiv zu sein.«
    Grothe nickte ihm zu: »Über die Fragestellung, was
Objektivität eigentlich ist, haben sich schon viele kluge Leute die Köpfe
zerbrochen. Wieso sollte ausgerechnet von Ihnen, einem Hauptkommissars aus
Husum, erwartet werden, diesen Punkt endgültig zu klären? Vorerst haben Sie
andere Rätsel zu lösen, mein Junge.« Der Polizeirat atmete einmal tief durch.
»Zurück zu unserem Fall. Der Vorgang Grün – korrekterweise ist es ein Nichtfall ,
da alle Ermittlungen abgeschlossen sind – spielt natürlich nur sekundär eine
Rolle in der Frage, warum das kleine Mädchen seit einigen Tagen die Schule
nicht besucht. Ich habe immer ein ungutes Gefühl, wenn wir Vorgänge ungeklärt
offen lassen. Es verursacht auch einen bitteren Beigeschmack, wenn wir im
Inneren noch einen letzten Zweifel gegen unbescholtene Bürger hegen, denen wir
damit eventuell tiefstes Unrecht zufügen. Genauso wie wir jeden Straftäter
überführen wollen, müssen Unschuldige vor ungerechtfertigten Verdachtsmomenten
geschützt werden. Also, mein Junge«, Grothe lehnte sich in seinem Stuhl zurück,
»wenn Sie so ganz nebenbei zu erweiterten Erkenntnissen auch in Verbindung mit
Leo Grün kommen, so lassen Sie es mich wissen. Stellen Sie sich vor, welche
Freude Sie dem alten Herrn bereiten könnten, wenn Sie den Denunzianten
identifizieren. Andererseits sollte uns aber im schlimmsten Fall der Respekt
vor dem Alter und einem sicher leidensreichen und schweren Lebensweg nicht
davon abhalten, den Missbrauch von Kindern zu verfolgen.«
    »Ich bin Ihrer Meinung«, stimmte Christoph dem
Polizeirat zu. »Trotzdem können wir in diesem Fall nichts weiter unternehmen.
Das ist alles zu vage.«
    Unerwähnt ließ Christoph, dass er noch eine Idee
hatte, wie er sich eine offizielle Legitimation für ein weiteres Nachforschen
in dieser merkwürdigen Geschichte verschaffen konnte.
    *
    Der kräftige Wind hatte sich inzwischen noch
verschärft und blies nun mit Sturmstärke von der nahen See herüber. Christoph
hatte sich noch einmal auf den Weg zur Wohnung von Peter Dahl gemacht. Die
wenigen Passanten, denen er begegnete, bewegten sich in leicht gebückter
Haltung, um dem Sturm eine möglichst geringe Angriffsfläche zu bieten. Mit der
richtigen Bekleidung, das hatte er schon an seinem ersten Tag hier verstanden,
konnte man der Witterung trotzen. Und wenn man unvorsichtigerweise einmal den
Mund öffnete und sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, so spürte man den
hohen Salzgehalt der Luft. Das Klima hatte aber auch etwas Natürliches,
Erfrischendes. Er hatte den Eindruck, dass jeder Atemzug ihm reine, frische
Seeluft in die Lungen pumpte.
    So war es an diesem mittlerweile späten Nachmittag
schon dunkel, als Christoph die Wohnung von Peter Dahl erreichte. Er hatte
Glück, dass er in der Haustür mit einem Handwerker zusammenstieß, der ihn in
den Flur ließ. Auf sein Klingeln hin hatte Dahl nicht geöffnet, aber auf das
nachhaltige kräftige Klopfen gegen die Wohnungstür dann doch reagiert. Er hatte
sich seit Christophs erstem Besuch offensichtlich nicht gewaschen oder die
Kleidung gewechselt. Außerdem hatte er sich dem Augenschein nach weitere Biere
genehmigt.
    »Gibt es Freunde oder Verwandte, bei denen sich Ihre
Frau mit dem Kind aufhalten könnte? Ich muss Ihnen diese Frage noch einmal
stellen.«
    Der Mann antwortete mit schwerer Zunge: »Wir haben
keine Bekannten. Und die Verwandtschaft … nur, wenn es unbedingt sein muss. Ich
…«, er wurde durch einen Schluckauf unterbrochen, »ich … hab manchmal mit ‘nen
paar Kumpels von der Werft ‘nen Bier getrunken. Aber seit

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