Tod in der Marsch
an.
»In Ordnung!« Große Jäger wedelte mit seinem
Notizbuch. »Ich notiere mir jetzt die Namen all derer, die in zwei Minuten noch
hier sind, und lade sie anschließend als Zeugen nach Husum vor.«
Als ob ein Bienenschwarm über sie hergefallen wäre,
stob die Gruppe der Neugierigen auseinander, um dann unter Protest ins Dorf
zurückzukehren.
Während die Männer im strömenden Regen hinter dem
rot-weißen Flatterband warteten, tastete sich Jürgensen zentimeterweise
vorwärts und suchte dabei den Boden nach Hinweisen ab. Wie gut, dachte sich
Christoph, dass er so klein ist, da ist er näher dran. Nachdem er den Rand der
Böschung erreicht hatte, gab Jürgensen seinen Männern ein kurzes Zeichen, worauf
diese ausschwärmten und im Kriechgang ihm folgend auf den Fundort zustrebten.
Christoph und Große Jäger mussten warten. Erst hatten
die Spezialisten des Erkennungsdienstes das Umfeld auf Spuren zu sichern.
Außerdem waren sie ohnehin nicht für diesen Fall zuständig. Bestimmte Arten von
Straftaten, dazu gehörten auch Kapitalverbrechen wie Mord und ungeklärte
Todesfälle, wurden von einer speziellen Einheit, der K1 – Mordkommission –
bearbeitet, die direkt bei der übergeordneten Kriminalbereichsinspektion in Flensburg
angesiedelt war.
»Herr Johannes«, rief einer der Streifenbeamten, der
sich halb in sein Fahrzeug hineingelehnt hatte und Christoph nun den
Telefonhörer entgegenhielt. »Der Chef möchte Sie sprechen.«
Christoph nahm den Hörer entgegen und war dankbar,
sich kurz in das regengeschützte Innere des Polizeiwagens zurückziehen zu
können.
»Da ist noch ein Problem.« Grothes Stimme klang in
einer Lautstärke aus dem Hörer, dass Christoph instinktiv den Apparat vom Ohr
weghielt. »Ihre Kollegen bei der Kripo sind wieder einmal schlecht organisiert.
So eine Schlamperei hätte es bei mir nicht gegeben.«
Christoph sah den schwergewichtigen Mann vor seinem
inneren Auge förmlich aus seinem Schreibtischsessel hüpfen.
»Die haben jetzt kurz vor Weihnachten eine Reihe von Leuten
nach Hause geschickt, um die noch offenen Urlaubsansprüche abzufeiern. Die
restliche Truppe ist grippekrank.« Grothe schnaubte so lautstark, dass es
deutlich durch die Leitung zu hören war. »Die Jungs sollten alle einmal bei uns
an der Westküste Dienst tun. Da wird keiner grippekrank. Nicht hier! Und die
wenigen vom K1, die noch arbeiten, sind im Augenblick auswärts bei einem
anderen Einsatz. Sie sollen schon einmal die Arbeit kommissarisch aufnehmen.
Die Mordkommission übernimmt dann später.« Ohne eine Antwort abzuwarten
beendete Grothe das Gespräch.
Christoph informierte kurz Große Jäger, der immer noch
mit den Besatzungen der beiden Streifenwagen im Regen stand und wärmend die
Arme um den Körper schlug. Der Regen troff ihm dabei von der Kapuze seines
Parkas auf die Nasenspitze und lief über den Mund abwärts. Gelegentlich
streckte er die Zunge in Richtung seiner Nasenspitze aus, um die dort
herabhängenden Wassertropfen aufzunehmen.
»Scheiße!«, sagte Große Jäger nur. Noch einmal: »Scheiße!« Sonst nichts.
Von der Hauptstraße näherte sich jetzt ein Mercedes
ihrem Standort. Der Wagen stoppte, und ein Mann mittleren Alters stieg aus. Er
hielt mit seiner linken Hand die Knopfleiste seiner Jacke zusammen und kam auf
sie zu, während er die Stirn krauszog.
»Hallo, Doc«, sagte Große Jäger. Die
Streifenpolizisten nickten dem Mann zu.
»Guten Tag, mein Name ist Hinrichsen«, stellte er sich
Christoph vor. »Ich bin frei praktizierender Arzt in Husum. In der
Vergangenheit habe ich des Öfteren mit der Polizei zusammengearbeitet und werde
deshalb gerufen, wenn es gilt, einen ersten Eindruck bei ungeklärten
Todesfällen, aber auch bei Unfällen und Ähnlichem abzugeben. Wenn es sein muss,
stelle ich auch den Totenschein aus.« Er reichte Christoph die Hand. Es war ein
angenehmer, kurzer, aber fester Händedruck.
Christoph stellte sich ebenfalls vor und informierte
den Arzt kurz über das Wenige, was sie bisher wussten.
»Männlich oder weiblich?«, wollte Dr. Hinrichsen
wissen. Christoph zuckte die Schultern. »Die Kollegen vom Erkennungsdienst
sondieren im Augenblick noch das Umfeld auf etwaige Spuren.«
Inzwischen hatte einer der Kriminaltechniker damit
begonnen, mit einer Digitalkamera Aufnahmen vom Umfeld zu machen. Jürgensen
winkte ihnen vom Graben her und deutete an, dass sie näher kommen könnten. Er
stand breitbeinig darüber, leicht gebeugt, und hatte die wuchernde
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