Tod in der Marsch
vollkommen verstört,
auch wenn noch kein Ergebnis vorlag.
»Deshalb bin ich unter anderem hier«, antwortete er
ausweichend. »Wir wissen jetzt, dass Ihre Frau am fraglichen Tag«, er vermied
die Vokabel »Todestag«, »mit Ihrer Tochter nach Marschenbüll gefahren ist. Sie
wurde dort von mindestens zwei Leuten gesehen. Eine ehemalige Mitschülerin hat
sogar kurz mit ihr gesprochen. Haben Sie eine Idee, was Ihre Frau dort wollte?
Wen könnte sie besucht haben?«
Peter Dahl sank in sich zusammen. Seine Augen hatten
einen feuchten Schimmer bekommen. Von der ihm früher eigenen Aggressivität, dem
Wechsel der Gefühle, die sie miterlebt hatten, war jetzt nichts mehr erkennbar.
»Nein«, sagte er, »ich hab keine Ahnung. Mir ist nicht
bekannt, dass sie dahin gefahren ist.«
»Sie war in der jüngsten Zeit nicht nur einmal in
Marschenbüll«, bohrte der Oberkommissar nach.
»Ich kann da nichts zu sagen. Wir haben da keine
Freunde, keine Verwandten. Zusammen sind wir nie dort gewesen.« Dahl schluckte
heftig. »Nicht in den letzten Jahren.«
»Und Sie kennen auch niemanden von dort?«
Die Antwort kam prompt. »Nein. Meine Schwiegereltern
sind tot. Annes Geschwister sind weggezogen. Sonst gibt’s niemand, mit dem wir
was zu tun gehabt ham.« Er machte eine kurze Pause. »Absolut niemand«,
bekräftigte er noch einmal.
»Hat Ihre Frau irgendwann einmal etwas über
Verbindungen nach Marschenbüll erzählt?«
»Nicht, solange wir zusammen warn.« Seine Augen hatten
sich mit Tränen gefüllt, und er machte keine Anstalten, diese zu verbergen.
»Herr Dahl!« Große Jäger näherte sich behutsam dem
wichtigsten Punkt seines Besuches. »Waren Sie in der letzten Zeit einmal in
Marschenbüll?«
Heftig schüttelte Dahl den Kopf.
»Eine letzte Frage, Herr Dahl. Was haben Sie an dem
Tag, dem 11. November, gemacht, als Ihre Frau ermordet wurde?«
Dahl sah ihn ungläubig an. »Ich?«
»Ja, Sie!«
»Woher soll ich das wissen?« Dahl verstand die Frage
offenbar nicht.
»Es wäre aber gut, wenn Sie sich erinnern könnten.«
Dahl sah ihn jetzt fast böse an. »Woher soll ich das
wissen? Ich hab keine Ahnung. Vielleicht war ich hier, vielleicht war ich
irgendwo in ‘ne Kneipe, kann sein, dass ich eingekauft hab. Ich hab absolut
keine Idee.«
»Falls es Ihnen doch noch einfallen sollte, wäre es
hilfreich, wenn Sie uns informieren würden.«
*
Christoph sah auf, als Große Jäger das gemeinsame Büro
betrat.
Der Oberkommissar hob kurz die Hand als Zeichen der
Begrüßung. »Gibt es Neuigkeiten?«
»Ja«, mischte sich Mommsen ein. »Ich war bei der
Verkehrsgesellschaft, die die Strecke nach Marschenbüll bedient. Man war dort
hilfsbereit und hat anhand des Dienstplans vom 11. November den Fahrer
ausfindig gemacht, der den Nachmittagsbus fuhr. Ferner hat man mir gesagt, zu
welcher Uhrzeit der Mann wieder mit seinem Bus im Husumer ZOB eintreffen würde. Dort habe ich ihn
abgepasst. Der Fahrer konnte sich aber weder an Anne Dahl noch an ihre Tochter
erinnern. Er fährt die Strecke nach Marschenbüll regelmäßig und kennt daher
auch viele der Fahrgäste, die den Bus benutzen. Aber an Leute, die nur einmal
oder selten mitfahren, konnte er sich nicht erinnern. Schon gar nicht nach so
langer Zeit.«
»Auch diese Spur führt zu nichts«, stöhnte Christoph.
»Aber«, fuhr Mommsen fort, »ich bin inzwischen im
Computer spazieren gegangen und habe in unserer ›zentralen Kundendatei‹
geblättert. Ich habe Suchanfragen zu allen Namen, die auch nur im Entferntesten
im Zusammenhang mit unserem Fall stehen, gestartet. Allerdings bin ich nur in
einem Punkt fündig geworden.«
Die Spannung stand sowohl Christoph wie auch Große
Jäger ins Gesicht geschrieben.
»Hermann von Dirschau«, ließ Mommsen schließlich die
Katze aus dem Sack. »Er ist noch nie straffällig geworden. Die Ermittlungen
gegen ihn sind jedes Mal entweder im Sande verlaufen oder gegen Zahlung einer
Geldbuße eingestellt worden.«
»Und weshalb wurde ermittelt?« Christoph hatte die
Frage gestellt.
Mommsen nahm ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch
auf. »Mehrfach wegen verschiedener Dinge. Wegen Steuerhinterziehung, wegen
Ungereimtheiten in der Abrechnung von öffentlichen Fördermitteln und
Zuschüssen, und, das ist besonders interessant in Anbetracht seiner
salbungsvollen Ausführungen bei unserem gestrigen Besuch, wegen Verstoßes gegen
die Pflicht, Sozialabgaben abzuführen.«
»Das heißt im Klartext?« Jetzt zeigte Große
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