Tod in der Marsch
Jäger
Neugierde.
Mommsen faltete das Papier zusammen und legte es vor
sich hin. »Der feine Herr hat Aushilfskräfte beschäftigt, schwarz bezahlt und
vergessen, Steuern und Sozialabgaben abzuführen.«
»Wie sonst kann man so ein großes landwirtschaftliches
Anwesen mit zwei Mitarbeitern bewirtschaften?«, überlegte Christoph. »Ich
glaube, wir müssen dem Landgrafen einmal etwas kräftiger auf den Zahn fühlen.
Also, auf geht’s.«
»Moment noch.« Mommsen hatte die Hand wie zu einem
Stoppsignal gehoben. »Ich habe noch etwas gefunden.«
Er griff zu einem anderen Papier, das vor ihm lag.
»Da wäre noch Frieder Brehm.«
»Und wer ist das?«, fragten Christoph und Große Jäger
fast gleichzeitig.
Es hatte den Anschein, als würde der kühle, sachliche
Mommsen einen stillen Augenblick lang die Situation genießen.
»Frieder Brehm ist dreiundvierzig Jahre alt,
verheiratet und hat zwei Kinder. Er ist Handelsvertreter und wohnt in
Marschenbüll.«
»Das ist alles noch nicht strafbar«, brummte Große
Jäger, »vielleicht bis auf die Tatsache, dass verheiratet zu sein eine Strafe
ist.«
Während Christoph ein Schmunzeln nicht unterdrücken
konnte, fuhr Mommsen fort: »Brehm ist vorbestraft wegen Sexualvergehen. Er hat
vor vielen Jahren Frauen und kleine Mädchen belästigt, ist sogar handgreiflich
geworden. In zwei Fällen hat man ihm vollzogene Vergewaltigung nachgewiesen. Er
ist rechtskräftig verurteilt, aber vorzeitig wegen guter Führung aus der Haft
entlassen worden und hat sich jetzt eine bürgerliche Existenz aufgebaut. Nach
unseren Unterlagen ist er seit damals strafrechtlich nicht wieder in
Erscheinung getreten.«
Große Jäger war skeptisch. »Welcher Psychologe unterschreibt
dir eine Garantieerklärung, dass auch ein vorübergehend inaktives, aber früher
unruhiges Blut nicht doch irgendwann wieder einmal zu kochen anfängt.«
»Hervorragende Arbeit, Herr Mommsen. Ausgezeichnet!«,
beendete Christoph die kleine Lagebesprechung.
Jetzt hatten sie eine weitere Spur, die es zu
verfolgen galt.
*
Sie fuhren erneut nach Marschenbüll. Mommsen war die
undankbare Aufgabe zugefallen, dort von Haus zu Haus zu gehen und die Bewohner
zu befragen, ob sie Anne Dahl kennen würden und wer sie zuletzt gesehen hatte.
Wen Anne Dahl besucht hatte, war immer noch die große
Frage. Und da sich bisher niemand gemeldet hatte, setzten sie ihre Hoffnung
darauf, dass irgendjemand etwas beobachtet hatte, dass ein missgünstiger
Nachbar nicht so verschwiegen war und ihnen einen Fingerzeig geben konnte.
Nachdem sie Mommsen vor dem Gasthaus abgesetzt hatten,
fuhren sie weiter zum großen Anwesen von Dirschaus.
In der Einfahrt stand ein blauer
Mercedes-Geländewagen, dessen dicke Schmutz- und Schlammkruste verriet, dass er
im Einsatz zwischen Wiesen und Weiden war.
Auf ihr Läuten hin öffnete nach einer Weile eine
junge, etwas rundliche Frau mit frischer Gesichtsfarbe die schwere Haustür. Sie
wiesen sich beide aus.
»Sie sind hier beschäftigt?«, wollte Christoph wissen.
Zögernd nickte die Frau, ohne den Türspalt weiter zu
öffnen oder die beiden Polizisten gar ins Haus zu bitten. »Ja, mein Name ist
Römelt. Ich arbeite hier halbtags im Büro.«
»Haben Sie einen Moment Zeit für uns?«, fragte Große
Jäger.
Ihre Unsicherheit war nicht zu übersehen. »Ich weiß
nicht so recht. Herr von Dirschau sieht es nicht gern, wenn sich seine
Angestellten während der Arbeit mit anderen Dingen befassen.«
Christoph und Große Jäger sahen sich an. Von Dirschau
musste ein merkwürdiges Verständnis davon haben, wie man mit seinen
Mitarbeitern umzugehen hat. Dieses fast ängstliche Auftreten der jungen Frau
rundete das kritische Bild, das sich die beiden gestern von ihm gemacht hatten,
ab.
»Wir können Sie natürlich auch zu einer Aussage zu uns
auf die Dienststelle nach Husum bitten.« Christoph zog eine Trumpfkarte aus dem
Ärmel. »Sagen wir, morgen früh um acht Uhr?«
Dieses Argument stach offensichtlich. Mit großen Augen
starrte ihn die Frau an.
»Das geht nicht«, sagte sie. »Ich habe im Augenblick
sehr viel zu tun. Damit wird Herr von Dirschau nicht einverstanden sein.«
Christoph platzte der Kragen. »Wir untersuchen hier
einen Mordfall. Da spielen Wünsche oder Vorstellungen Ihres Landgrafen keine
Rolle. Wenn wir Sie vorladen, haben Sie zu erscheinen. Und sollte Herr von
Dirschau anderer Auffassung sein, werden wir gegen ihn wegen Behinderung
unserer Arbeit vorgehen. Habe ich mich deutlich genug
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