Tod in der Marsch
Antwort
schuldig blieb, warb sie ganz offen weiter: »Oder dürfen sich junge
Kriminalbeamte auch einmal mit Gastwirtstöchtern verabreden, die völlig
ungebunden sind?«
Verlegen sah Mommsen Sarah Stamm an. »Wissen Sie …«,
stammelte er.
Christoph bemerkte Mommsens Verlegenheit und wollte
seinen Mitarbeiter aus dieser misslichen Situation retten. Er setzte eine
betont dienstliche Miene auf und sagte: »Herr Mommsen, können Sie bitte einen
Streifenwagen anfordern, der die beiden Landarbeiter nach Husum auf das Revier
bringt?«
Eilfertig antwortete Mommsen: »Jawohl, Herr
Hauptkommissar, ich werde mich sofort darum kümmern.«
*
Als die Kriminalbeamten die Dienststelle erreichten,
wartete Mehmet Yildiz ohne sichtbare Anzeichen von Ungeduld. Dankbar nahm er
den angebotenen Kaffee an.
»Herr Yildiz«, eröffnete Christoph das Gespräch, »Sie
sind nicht als Verdächtiger hier. Dennoch gibt es eine ganze Reihe von Fragen,
die mit Ihrer Person im Zusammenhang stehen. Ich muss Sie deshalb darauf
aufmerksam machen, dass Sie nichts sagen müssen, was Sie in irgendeiner Weise
belasten könnte. Sie haben das Recht, einen Anwalt Ihres Vertrauens
hinzuzuziehen. Haben Sie das verstanden?«
Der Angesprochene lächelte milde. »Warum sollte ich
Sie nicht verstehen? Warum glaubt jeder, weil ich einen türkischen Namen trage,
hätte ich Probleme mit der deutschen Sprache? Ich bin Deutscher. Vergessen Sie
das bitte nicht. Aus Überzeugung …«
»Wie haben Sie Frau Dahl kennen gelernt?«
»Vor einem halben Jahr. In der Bücherecke von
Karstadt. Ich habe dort zwischen den Kinderbüchern herumgestöbert. Dann sah ich
Anne. Sie hatte offensichtlich Probleme bei der Auswahl eines Buches. Ich
sprach sie an, fragte, ob ich helfen kann. Sie hat ein Geburtstagsgeschenk
gesucht. Für ihre Tochter. Sie sagte, sie hätte keine Ahnung von Büchern. Bei
ihr zu Hause wurde nicht gelesen. Sie wollte aber, dass ihre Tochter damit
beginnt. Ich habe ihr bei der Auswahl geholfen. So habe ich sie kennen
gelernt.«
»Sie interessieren sich für Kinder bücher?«,
fragte Christoph. Bei diesem Stichwort wurde Große Jäger, der wie üblich einen
eher unbeteiligten Eindruck machte, hellhörig.
Yildiz bemerkte die Veränderung im Verhalten der
Kriminalbeamten, als das Stichwort »Kinderbuch« fiel. Ein Ruck durchfuhr ihn.
Vorsichtig versuchte er zu erklären: »Das ist so: Ich habe in der Türkei
Pädagogik studiert. Darüber hinaus interessiert mich die Literatur. Im
Allgemeinen und ganz besonders die deutsche. Das habe ich von meinem Vater. Er
hatte in seiner Heimat nie die Schule besucht. So ist er vor über dreißig
Jahren nach Süddeutschland gekommen. Dort hat er bis letztes Jahr als
Kraftfahrer gearbeitet. Er hat sich mühevoll das Lesen beigebracht. Und zwar
auf Deutsch. Er hat sogar Goethe und Schiller gelesen. Das hat mich tief beeindruckt.«
Er trank einen Schluck Kaffee.
»So habe ich mich auch für Bücher interessiert. Sie
haben es vorhin gesehen. In meinem Zimmer steht kein Fernsehapparat. Aber jede
Menge Bücher. Auch Kinder- und Jugendliteratur. Und so konnte ich Anne
behilflich sein.«
Christoph lehnte sich zurück, legte die Hände gefaltet
auf seinen Schreibtisch. »Sie haben in Deutschland studiert?«, fragte er.
»Nein, ich habe in der Türkei studiert. In Ankara. Wie
meine beiden Schwestern. Die eine ist Lehrerin in der Hauptstadt. Die jüngere
arbeitet als Ärztin in Istanbul.«
»Gab es Gründe, weshalb Sie nicht dem Beispiel Ihrer
Geschwister gefolgt, sondern nach Deutschland ausgewandert sind?«, wollte Große
Jäger wissen.
Der Mann mit der Goldrandbrille reagierte bei dieser
Frage irritiert. »Ich sagte bereits, dass ich meinen Vater bewundere. Warum hat
sich ein einfacher Mann seiner Herkunft so für dieses Land und seine Dichter
begeistern können? Deshalb bin ich ebenfalls hierher gekommen. Ich mag Land und
Leute.«
»Warum arbeiten Sie nicht als Lehrer?«, wollte
Christoph wissen.
Ein Lächeln umspielte Yildiz Lippen. »Ein türkisches
Lehrerstudium wird in Deutschland nicht anerkannt.«
Große Jäger hatte sich neugierig vorgebeugt. »Und so
leben Sie in den Tag hinein?«
»Ich habe hier und dort gejobbt. Gelegentlich konnte
ich etwas Geld in der Erwachsenenbildung verdienen.« In seinen Augen funkelte
es, als er den Oberkommissar direkt ansah. »Ich habe nie dem Staat auf der
Tasche gelegen. Ich bin immer mit dem ausgekommen, was ich hatte. Dabei war ich
nie unzufrieden. Ich bin ein glücklicher
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