Tod in der Marsch
»Würden Sie bitte mit Ihrer Schilderung fortfahren.«
»Wir trafen uns nicht oft, aber regelmäßig. Aber wir
hatten kein Verhältnis. Ich mochte Anne gern – als Mensch«, fuhr er mit Blick
auf den Oberkommissar fort. »Aber sie war verheiratet und hing sehr an ihrer
Familie. Auch an ihrem Mann«, schob er nach.
»Sie kannten Peter Dahl?«, fragte Christoph.
Yildiz schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin ihm nie
begegnet. Wir haben uns ohnehin bemüht, unsere Begegnungen geheim zu halten, um
überflüssiges Gerede zu vermeiden.«
»Und trotzdem haben Sie Anne Dahl einmal an Ihrem
Arbeitsplatz besucht?«, setzte Christoph nach, der sich an die Aussage der
Arbeitskollegin in der Bäckerei erinnerte.
»Ja, das war zu einer Zeit, als Anne schon getrennt
von ihrem Mann wohnte. Sie war unendlich traurig über die Entwicklung und
hoffte, dass sich alles wieder zum Guten wenden würde. Es sollte nur eine Lehre
für ihren Mann sein. Zu keinem Zeitpunkt hat sie daran gedacht, sich scheiden
zu lassen. Sie war sehr deprimiert über die Situation, außerdem plagten sie
Existenzsorgen. Ich wollte sie in dieser Lage nicht allein lassen und Trost spenden.
Da sie sich aber wenig zugänglich zeigte und – übrigens das erste Mal – eine
Verabredung nicht eingehalten hatte, habe ich mir Sorgen gemacht und sie in der
Bäckerei aufgesucht. Wir haben aber, und darauf lege ich besonderen Wert, nie
gestritten.«
»Es ist aber wahr, dass Anne Dahl Sie in Marschenbüll
besucht hat?«, lenkte Christoph das Gespräch in die Richtung, die für ihre
Ermittlungen von entscheidender Bedeutung war.
»Ja, auch das stimmt. Anne war insgesamt dreimal in
Marschenbüll, um mich zu besuchen. Ich glaube aber, sie war auch wegen der
Erinnerungen dort. Sie wollte ihrer Tochter ein Stück der eigenen Vergangenheit
zeigen.«
»Aber Sie, Herr Yildiz, waren die leibhaftige
Gegenwart. Was ist an dem Tag geschehen, an dem Anne Dahl ermordet wurde?«
Christoph hatte sich wieder an den Platz gegenüber dem Mann gesetzt, der
freimütig seinen Anteil an den Geheimnissen dieses Falles offenbarte.
Yildiz stützte die Ellenbogen auf der Tischplatte ab
und legte den Kopf in die geöffneten Handflächen. Er wirkte geistesabwesend.
Leise kam seine Stimme aus weiter Ferne zurück. »Es
war ein ganz besonderer Tag. Ich hatte den frühen Bus nach Husum genommen, um
dort etwas zu erledigen. Danach bin ich ohne jede Verabredung zu Annes Wohnung
gegangen. Anne war überrascht, als ich vor ihrer Haustür stand. Ich hatte sie
bis zu diesem Tag nie besucht. Sie war gerade mit ihrer Hausarbeit fertig und
wartete auf Lisa, die aus der Schule zurückkommen sollte. Wir haben uns in die
Küche gesetzt und miteinander gesprochen.«
»Worüber?«, mischte sich Große Jäger ein. Christoph
hätte es gern gesehen, wenn sein Kollege den aussagebereiten Mann an dieser
Stelle nicht unterbrochen hätte.
Yildiz sah zum Oberkommissar auf.
»Worüber haben wir gesprochen?«, fragte er sich
selbst. »Über nichts Bestimmtes. Wir unterhielten uns über das Wetter, über
belanglose Dinge des Alltags.« Wieder blickte er Große Jäger an. Als würde er
die nächste Frage des Polizisten erahnen, ergänzte er: »Wir haben jedenfalls
nicht über persönlichen Dinge gesprochen.«
Dann lehnte er sich im Stuhl zurück, verschränkte die
Arme vor der Brust und setzte seine Ausführungen unaufgefordert fort.
»Schließlich kam Lisa heim. Anne wies das Kind an,
umgehend mit den Hausaufgaben zu beginnen. Lisa setzte sich zu uns an den Tisch
und machte sich an die Arbeit.«
Das entsprach den Ergebnissen der Spurensicherung in
der Wohnung von Frau Dahl.
»Haben Sie gemeinsam etwas gegessen oder getrunken?«
Yildiz schüttelte den Kopf. »Nein. Doch, warten Sie.
Anne hat mir etwas zu trinken angeboten. Ein Glas Mineralwasser.«
Auch das deckte sich mit ihren Ermittlungen. Die
Indizien sowie die Aussage des Mannes waren der Beweis, dass er der Unbekannte
war, der Anne Dahl an ihrem Todestag in deren Wohnung aufgesucht hatte.
Große Jäger wollte wieder die Initiative ergreifen,
wurde aber durch Christophs Blick ermahnt zu schweigen.
Christoph war aufgestanden, mit leisen Schritten
umrundete er den Tisch, der bisher zwischen ihm und dem Mann mit der
Goldrandbrille Distanz geschaffen hatte. Er blieb seitlich versetzt hinter
Mehmet Yildiz stehen. Schließlich legte er ganz vorsichtig die Hand auf dessen
Schulter.
»Und wie ist es weitergegangen, Herr Yildiz?«
Dieser sah zu ihm auf. Doch
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