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Tod in der Marsch

Tod in der Marsch

Titel: Tod in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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Mensch. Die Erfahrungen, die
Begegnungen mit vielen interessanten Menschen – das war mein Leben. Insoweit
lebe ich nicht in den Tag hinein.«
    »Und was hat Sie nach Marschenbüll geführt?« Christoph
hatte wieder das Fragen übernommen.
    »Ich habe in Freiburg in einer Studentenkneipe Ralf
von Dirschau kennen gelernt.«
    Große Jäger fiel ihm ins Wort. »Ich vermute, Sie sind
Moslem. Wie verträgt sich das mit dem Aufenthalt in einer Studentenkneipe?«
    Yildiz warf ihm einen mitleidigen Blick zu. »Sie haben
merkwürdige Vorstellungen. Auch im Islam gibt es unterschiedliche Ausprägungen.
Warum sind die Kirchen am Sonntag leer? Wo bleiben die Christen? Und dann
fragen Sie mich, warum ich in einer Studentenkneipe sitze und im Freundeskreis
ein Bier genieße? Aber zurück zu der Frage, was mich nach Marschenbüll geführt
hat. Ich hatte mich mit Ralf angefreundet. Er hat mir von seiner norddeutschen
Heimat erzählt. Das hat mich neugierig gemacht. So habe ich seine Einladung zu
einem Besuch in Eiderstedt angenommen. Dem ersten Aufenthalt folgten einige
weitere.«
    Yildiz fuhr sich mit der Hand über den Mund, bevor er
weitersprach.
    »Sein Vater hatte davon gesprochen, dass sie mir dank
ihrer Verbindungen eine Anstellung als Lehrer verschaffen könnten. Doch als ich
dann hier war, hieß es plötzlich: Daraus wird nichts. Ich habe zuerst
Handlangerdienste verrichtet. Aber für die harte Arbeit auf dem Hof war ich
nicht geeignet. So habe ich im Büro mitgeholfen, die große Bibliothek des
Hauses neu geordnet und katalogisiert. Und kleine Tätigkeiten verrichtet.«
    »Auf die Idee, nach Freiburg zurückzukehren, sind Sie
aber nicht gekommen, nachdem Sie feststellen mussten, dass Ihnen nur leere
Versprechungen gemacht wurden?«, fragte Christoph.
    Yildiz sah ihn an.
    »Da müssen Sie Verständnis für unsere Mentalität
haben. Ich sagte Ihnen bereits, dass mein Vater durch harte Arbeit dafür
gesorgt hat, dass seine Kinder studieren konnten. Sein Lebenswerk war der
berufliche und gesellschaftliche Aufstieg seiner Nachkommen. Wie kann ich einem
Mann, der auf viele Dinge zugunsten der Zukunft seiner Kinder verzichtet hat,
gegenübertreten und ihm sagen: Ich bin gescheitert. Das Studium war vergeblich,
und auch in meiner neuen Heimat Deutschland bin ich erfolglos. Nein, das geht
nicht. So kann ich meinen Eltern nicht danken.«
    »Gab es keine Alternative für Sie?«
    Yildiz zeigte ein mitleidiges Lächeln. »Wissen Sie,
wie viele arbeitslose Deutsche es gibt, die auf eine Anstellung als Lehrer
warten? Natürlich habe ich mich um andere Arbeit bemüht. Und was waren das für
Angebote? Versicherungsvertreter! Anlageberater! Und das Umschulungsangebot zur IT -Fachkraft.«
    »Das birgt doch Perspektiven.«
    Erneut lachte Yildiz. »Glauben Sie wirklich? Und was
sollen die studierten Informatiker machen?«
    Es entstand eine längere Pause.
    Christoph war aufgestanden und ging im Zimmer auf und
ab. Nach einer Weile stellte er, mehr zu sich selbst, fest: »Sie haben also
Anne Dahl kennen gelernt. Und wie ging es weiter?«
    »Wir unterhielten uns. Dann beschlossen wir, unsere
Unterhaltung von der Bücherecke des Kaufhauses in das Café am Markt zu
verlagern. Dort kam die Sprache dann irgendwie darauf, dass ich in
Marschenbüll, ihrem Herkunftsort, wohne. Wir entdeckten, dass wir gemeinsame
Bekannte hatten, zum Beispiel meinen Freund Ralf, mit dem sie ja einige Jahre
zusammen die Schule besucht hatte. Wir hatten ein gemeinsames Thema gefunden.«
    Yildiz nahm einen Schluck des erkalteten Kaffees und
akzeptierte dankbar das Angebot, seine Tasse erneut aufzufüllen.
    »Sie trafen sich danach regelmäßig?«
    »Nein, nicht regelmäßig. Ab und zu. Es war ja immer
die Entfernung zu überwinden. Wir hatten beide kein Auto, und mit dem Bus ist
es umständlich. Außerdem hatte Anne ja ihre Tochter zu versorgen. Und die ließ
sie keinen Augenblick ohne Aufsicht.«
    »Hatten Sie ein Verhältnis mit ihr?«, wollte Große
Jäger wissen.
    Yildiz sah den Oberkommissar böse an. Sein Blick, ja
die ganze Körperhaltung drückte aus, dass er diesen Beamten nicht mochte.
»Warum denken deutsche Männer immer nur mit dem Unterleib?«, griff er an.
»Können Sie sich nicht vorstellen, dass man in einer Frau einen Menschen sehen
kann, mit dem man nur reden möchte? Und das nicht nur auf der Bettkante.«
    Große Jäger wollte den Fehdehandschuh aufnehmen, wurde
aber durch Christoph unterbrochen, der sich mit versöhnlichem Ton an Yildiz
wandte:

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