Tod in der Walpurgisnacht
und nur mit halbem Ohr dem Psychologen zugehört. Ihm ging es sowieso scheißschlecht, da er auch noch von seiner Freundin verlassen worden war, und er hatte nicht die geringste Lust, das auch noch preiszugeben.
Dieser Depp wollte die meiste Zeit, dass er redete. Aber was sollte er sagen? Er war es nicht gewohnt, einem Menschen gegenüberzusitzen und sein Inneres nach außen zu kehren. Der Psychotyp hatte gesagt, dass mit ihm schon alles in Ordnung wäre, aber Lerde fühlte sich vollkommen verwirrt und alleingelassen.
Dennoch erinnerte er sich an die Worte des Psychologen. Dass seine Launen wechselhaft sein könnten, dass der Schlaf oberflächlich und oft unterbrochen sein könnte, dass lange später, wenn man keinen Zusammenhang zu einem bestimmten Ereignis mehr erkennen konnte, die Konzentrationsfähigkeit nachließ. Die Verbindungen konnte man erst herstellen, wenn man tiefer grub.
Er ließ sich wieder am Schreibtisch nieder und schlürfte seinen Kaffee. Natürlich konnte die Szenerie, was Tinas Verschwinden anging, auch eine völlig andere sein, darüber hatte er schon unzählige Male spekuliert. Eine bisher unbekannte Person schnappt sie sich, missbraucht sie sexuell und entledigt sich dann ihrer, vielleicht in einem ganz anderen Teil dieses so verdammt großen Landes. Oder jemand, der mit Tina verbunden ist, hilft ihr, ins Ausland zu verschwinden. Eine Leidenschaft oder eine große Liebe konnte die Menschen zu allem Möglichen bewegen.
Hypothesen und sonst nichts, dachte Lerde kritisch, während sein Blick wieder über die Zeilen wanderte. Alle Spuren endeten im gemeinsamen Auto des Paares, das damals ein Volvo war. Alle Menschen, die Tina kannten, waren sich einig, dass es ziemlich unwahrscheinlich sei, dass sie ihre Kinder im Stich gelassen hätte, um in Thailand oder auf einer Südseeinsel ein neues Leben anzufangen. Aber wer wusste das schon?
Lerde hatte natürlich Claesson gebeten, der inzwischen der Hauptverantwortliche für den Fall war, dafür zu sorgen, dass es im Zusammenhang mit dem Jahrestag eine Pressemitteilung geben würde. Die detektivischen Fähigkeiten der Bevölkerung mussten noch einmal angestoßen werden und darunter vor allem die von jenen, die sich nicht vorgewagt hatten, als der Fall noch frisch gewesen war.
Aber hier hatte auf jeden Fall jemand die Augen offen gehalten, stellte er fest, stand auf und zog seine Jacke an.
Kapitel 39
C laesson rief den Streifenpolizisten an, der am vorangegangenen Tag die Tochter des Opfers, Sofia Skoglund-Bladh, aufgesucht hatte.
»Wie hat sie reagiert?«, fragte er.
»Sie hat den Tod des Vaters gefasst aufgenommen«, sagte der junge Polizist, der den wenig angenehmen Auftrag erhalten hatte, die Todesnachricht zu überbringen. »Sie ist darauf vorbereitet, dass ihr kommt.«
Claesson rief an und sagte ihr, dass sie auf dem Weg zu ihr seien. Ihre Stimme war leise.
Die Erkenntnis, dass ihr Vater nicht nur gestorben war, sondern überdies noch einen Feind gehabt hatte, der ihn ermordet hatte, und nicht genug damit, ihn auch noch auf einen Scheiterhaufen gelegt hatte, war sicher nicht leicht zu verkraften. Und schwer misshandelt, aber davon wussten die Angehörigen nichts, das würden sie so lange wie möglich für sich behalten.
»Sie wirken alle recht gefasst«, sagte Claesson nachdenklich. »Weder die Ehefrau noch der Sohn brachen zusammen. Vielleicht ist es eine Familieneigenheit, die Gefühle nicht nach außen zu tragen. Aber früher oder später bahnen sie sich doch einen Weg.«
»Oder sie sind alle in die Sache verwickelt. Oder erleichtert, dass er tot ist«, sagte Jasinski leichthin. »Vielleicht war er ein richtig übler alter Sack.«
»Das könnte man fast meinen, wo alle so extrem darauf achten, ihn nur positiv zu schildern. Als wollten sie etwas übertünchen.«
Sie verließen die Slottsgatan. Claesson seufzte und ließ Mord und Totschlag für ein Weilchen fahren und dachte stattdessen an die Frau, die er gestern getroffen hatte. Eine interessante Frau, diese Pfarrerin.
»Müde?«, fragte Jasinski, die seinen langen Seufzer gehört hatte.
»Nein, gar nicht. Habe heute Nacht wie ein Stein geschlafen.«
Sie blieben an der Ampel stehen und fuhren dann direkt nach Westen. Vor dem Kreisel hieß die Straße plötzlich Döderhultsväg, dann Landstraße 37 oder 47 – je nachdem, ob man hinter Bockara nach Süden Richtung Växjö oder nach Norden Richtung Linköping fuhr.
Sie fuhren den Marieholmsvägen hinunter und an der Kirche und
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