Tod in der Walpurgisnacht
sie und küsste ihn auf den Mund. »Aber noch mal was ganz anderes«, sagte sie und sah zu ihrem Mann, an dem die beiden Töchter wie Trauben hingen. »Ich habe zufällig eine alte Krankenakte über einen traurigen Fall gelesen, der vor achtzehn Jahren passiert ist und in den Johannes Skoglund verwickelt war. Eine junge Frau, die unnötigerweise starb.«
»Wie das?«, fragte er und versuchte sich zu befreien. »Wartet mal kurz, ich muss mit Mama reden«, sagte er zu den Mädchen.
»Ich kann mich gut daran erinnern, Tingström und ich haben die Patientin behandelt, die dann verblutete. Wir durften ihr keine Blutkonserve verabreichen. Johannes Skoglund behauptete, sie würde das nicht akzeptieren.«
»Wie bitte?«
»Die Frau bestätigte das. Offensichtlich ist Skoglund religiös. Sie hatten ein Mädchen dabei, und wie oft habe ich mich in den letzten Jahren nicht gefragt, wie es ihr wohl ergangen ist.«
»Wir haben bisher nicht den Eindruck, dass er in irgendeiner Weise religiös engagiert war«, sagte Claesson. »Wieso hast du eigentlich diese Akte, wir haben schon danach gesucht.«
»Sie lag vor meiner Nase im Büro. Hilda, mit der ich den Schreibtisch teile, hatte sie für eine wissenschaftliche Studie ausgeliehen.«
»Ein Mädchen, sagst du?«, fragte er dann.
»Ja.«
»Die muss jetzt erwachsen sein.«
»Denkst du an Rache?«
»Vielleicht.«
»Eine späte Rache für den Tod der Mutter?«
»Vielleicht. Das ist gar nicht so weit hergeholt«, sagte er und erläuterte: »Skoglund ist, ehe er ins Feuer gelegt wurde, ziemlich heftiger Gewalt ausgesetzt worden. Das kann auf einen starken seelischen Druck hinweisen. Wenn dann das Fass überläuft, hat der Täter oder die Täterin meist irgendeine Beziehung zum Opfer. Das Mädchen hat einen Bruder. Es fällt mir schwer zu glauben, dass sie es schaffen würde, Skoglund selbst ins Feuer zu schieben. Und er hat ein noch besseres Motiv.«
»Was denn?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Du willst es nicht sagen?«
»Später.«
Veronika sah ihn schweigend an.
»Ich kenne das Mädchen«, sagte sie.
Claes war aufgestanden und räumte die Spülmaschine ein.
»Ehrlich?«, fragte er und drehte sich um.
»Ich treffe sie im Grunde genommen jeden Tag bei der Arbeit. Sie heißt Hilda Glas, aber das weißt du sicher. Ich hoffe wirklich, dass sie nichts damit zu tun hat.«
»Hilda und ihr Freund waren übrigens an Walpurgis in Hjortfors, ich habe ihnen am Feuer zugewunken«, fuhr Veronika fort.
Er schnalzte mit der Zunge.
»Warum hast du das nicht früher gesagt?«, fragte er.
»Also hör mal, du hast nicht danach gefragt, du warst ja kaum zu Hause …«
Sie hielt inne, denn sie merkte, dass ihre Stimme ins Falsett umschlug. Claes erwiderte nichts, ging in die Diele und zog seine Jacke an.
»Tschüss!«, rief er und lächelte kurz in der Tür.
Kapitel 62
Hilda, Donnerstag, den 5. Mai 2011
H ilda ging mit schweren Schritten die Treppe hinunter und sah nach, ob sie eine SMS bekommen hatte. Das hatte sie: »Liebe dich! Bis morgen, Jens!« Freude durchfuhr sie, und sie hüpfte leichtfüßig die letzten Treppenstufen hinab und wirbelte durch die Glastür des Krankenhauses ins Freie.
Morgenkühle Luft strich ihr übers Gesicht. Es war zwanzig nach acht, und die Baumkronen leuchteten zart hellgrün mit ihren Blattknospen, die im Begriff waren auszuschlagen. Die Verliebtheit drehte noch ein paar Runden, drang in jede Hautpore und trieb Hilda wie in einem wirbelnden Tanz vorwärts. Sollte sie vielleicht mal die Bremse einlegen und sich beruhigen?
Ein warnender Zeigefinger hob sich. Er kann dich verletzen, vergiss das nicht! Hör auf, solange noch Zeit ist. Verletzung kann mit Untergang einhergehen.
Aber es war zu spät. Die Mahnungen schlugen nicht an. Sie schaffte es nicht, auf Abstand zu gehen, so wie sie es mit Fredric Lido getan hatte. Das hier war etwas anderes. Jens und Fredric schienen von verschiedenen Planeten zu kommen. Jetzt war sie zu Hause angekommen, das war deutlich.
Innerlich warm marschierte sie selbstsicher zu Sams Toyota, den sie ganz hinten auf dem Parkplatz abgestellt hatte. Jens’ Geruch, warm und erdig, war in sie eingezogen. Sollte dort wohnen bleiben.
Jens war schon zu Hause in seiner Wohnung in der Dammgatan. Er hatte seine Schicht eine Stunde früher als sie übergeben und schlief jetzt wahrscheinlich wie ein Stein. Sie dachte an seinen schweren und trägen Körper, der unter der Decke weich und warm war, und an die wuscheligen Haare auf
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