Tod in der Walpurgisnacht
sozusagen nackt«, erklärte Ebbe und machte eine Geste von der Taille nach unten.
»Ach so!«
»Und dann habe ich laute Stimmen gehört, vermutlich ist Sven Glas auf Skoglund losgegangen. Obwohl ich da noch nicht wusste, dass es Skoglund war. Kurz darauf rannte Sven Glas weg, und man konnte sehen, dass er wütend war. Am Ende kam Johannes Skoglund raus. Ich starrte ihn an, ich traute meinen Augen nicht, dass er so einer war, der … ja, wie sagt man … Kinder betatschte.«
Lundin ließ das erst mal sacken.
»Und der Junge?«, fragte er dann, »was hat der gemacht?«
»Der sprang in seine Hosen, nahm das Fahrrad und raste in den Wald.«
»Hat man später darüber geredet? Im Ort, meine ich?«, fragte Lundin.
Ebbe schüttelte den Kopf.
»Nee. Da war Schweigen. Und ich hab auch nichts gesagt.«
Lundin sah ihn an.
»Ja, kuck du nur vorwurfsvoll«, sagte Ebbe. »Aber was hätte ich denn tun sollen? An wen wendet man sich damit? Es würden doch alle nur den Kopf schütteln und sagen, dass ich mir da eine Menge blödes Gerede zusammengekocht hätte. Und vor zwanzig Jahren ging man mit sowas auch nicht gerade zur Polizei. Macht man jetzt ja auch noch nicht gern!«
»Ich mache dir keinen Vorwurf«, versuchte Lundin ihn zu beruhigen. »Das heißt also, dass du niemals jemanden davon hast reden hören, dass Skoglund diese Neigung hatte?«
»Nee.«
Lundin dachte nach.
»Aber es hing sozusagen unausgespochen in der Luft?«, fragte er.
»Ja, das kann man so sagen. Weil ja auch niemand was gesagt hat. Es wurde geschwiegen. Und wenn jemand das hätte ansprechen können, dann der Vater von dem Jungen, Sven Glas. Der war außer sich vor Wut. Aber dann ist er im selben Herbst bei einem Unfall im Sturm gestorben.«
Das konnte Zufall sein oder nicht, dachte Lundin. Ein Unwetter, das sehr gelegen kam. Wenn es einen Zusammenhang gab, würde man das nie erfahren. Sven Glas war tot und Johannes Skoglund ebenso.
»Dieser Junge, was macht der denn heute?«, fragte Lundin.
»Weiß ich nicht.«
»Keine Ahnung?«
»Er hieß Sam. Ein pfiffiger Junge. Samuel Glas.«
Ebbes Blick veränderte sich, und er wirkte plötzlich selbstsicher.
»Du weißt etwas«, sagte Lundin.
»Nein.«
»Sicher?«
»Ja.«
»Du bist herzlich willkommen, wenn du es dir anders überlegst. Mona hat noch gute Zimtschnecken in der Kühltruhe«, scherzte er.
»Ich habe nichts mehr zu sagen«, entschied Ebbe und erhob sich.
Der hat definitiv noch was in petto, dachte Lundin, als er Ebbe zu seinem Auto begleitete.
»Wir werden nach diesem Samuel Glas suchen«, sagte er.
Ebbe antwortete nicht, setzte sich nur hinters Lenkrad, nickte und drehte den Zündschlüssel herum. Lundin beobachtete, wie das Auto den Weg hinauf verschwand. Dann sah er nach oben zum langsam abnehmenden Licht. Sah den See. Mensch, ist das schön hier, dachte er.
Er schlenderte ins Haus und rief Claesson an, der gerade im Auto saß und von Bråbo, wo sie die Rose gerettet hatten, nach Hause fuhr. Claesson meinte, das Auffinden von Sam Glas habe jetzt höchste Priorität. Der hatte zumindest ein Motiv.
Und was für eins, dachte Lundin und ließ sich wieder vor dem Fernseher nieder.
Kapitel 61
V e ronika lag auf dem Sofa und las. Der Fernseher war eingeschaltet, diente jedoch mehr als Hintergrundgeräusch. Sie hätte ihn auch ausschalten können, tat es aber nicht, als wäre die Stille irgendwie belastend.
Sie erwog, nach oben zu gehen, sich auszuziehen und ins Bett zu kriechen. Früh schlafen gehen. Doch dann rief Claes an und sagte, er sei auf dem Nachhauseweg.
Die Kinder schliefen. Langsam fiel die Dämmerung. Veronika zündete die Kerzen in der Fensterbank an, und der Raum wirkte sofort gemütlicher. Das Fernsehprogramm lieferte Lachsalven auf Kommando. Mechanisch und unwirklich.
Sie ging in die Küche und goss sich ein Glas argentinischen Rotwein ein, natürlich Malbec. Die Flasche war schon ein paar Tage geöffnet, der Vakuumkorken zischte, und sie schnupperte vorsichtshalber erst an dem Wein, fand ihn aber trinkbar. Dann legte sie sich wieder aufs Sofa und las weiter.
Eine Viertelstunde später war eine Autotür zu hören und dann vertraute Schritte auf dem Kiesweg. Die Tür ging auf.
»Hallo! Bist du noch wach?«, fragte er leise im Flur.
»Ja«, antwortete sie. »In der Küche steht was zum Aufwärmen, falls du Hunger hast. Ich habe mir ein Glas Wein eingeschenkt.«
Sie hörte ihn in die Küche gehen, Schranktüren wurden aufgemacht, die Mikrowelle summte.
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