Tod in der Walpurgisnacht
dem Kissen.
Jens würde heute Abend in Högsby Fußball spielen, und sie arbeitete morgen wieder nachts, doch am Samstag würden sie zusammen essen, Wein trinken und reden. Und viel Körper fühlen, dachte sie und kicherte. Sensorische Nervenstränge, die stimuliert werden mussten, weiche Muskeln. Bisher hatte sie Sex nie gemocht, sondern meist nur mitgemacht, war nicht dagegen gewesen, hatte gemacht, was von ihr verlangt wurde, um normal zu erscheinen, aber im Großen und Ganzen gefunden, dass dieser so viel besprochene Akt vollkommen überschätzt wurde.
Doch jetzt könnte sie nur von Lust und Liebe leben. In der Sonne liegen und den Hahn krähen hören. Eng an Jens gekuschelt liegen. Miteinander schlafen war einfach nur großartig.
Sie schaltete das Autoradio ein, suchte in der Tasche ein Kaugummi, um die Kiefer in Gang zu halten, damit sie nicht einschlief, während sie direkt nach Westen über Högsby weiter nach Hjortfors fuhr. Eine vorsichtige Sonne wagte sich heraus, und wenn man dem Wetterbericht glauben konnte, würde sie später am Tag noch mutiger werden.
Im Radio wurde der Scheiterhaufenmord erwähnt und dass noch nichts aufgeklärt war. Sie versuchte, ein Gefühl der Erleichterung und Gerechtigkeit zu empfinden. Es geschah Johannes Skoglund schließlich recht, doch das richtige Gefühl dafür wollte sich nicht einstellen. Im selben Augenblick fuhr es ihr in den Magen. Sam! Das, was Skogis ihm angetan hatte, wäre Grund genug, sich an ihm zu rächen. Man durfte nicht töten, das durfte man nicht, das war keine Methode, Gerechtigkeit zu üben. Sie war am Walpurgistag nicht vor Mittag in Hjortfors eingetroffen. Hatte Sam zuvor Skogis erschlagen und in den Scheiterhaufen gesteckt? Diese Gedanken verursachten ihr Schwindel. Sie musste innehalten. Nicht Sam!
Dann berichtete die trockene Radiostimme, dass die Frau, die ein Jahr lang gesucht worden war, endlich gefunden war. Als wäre sie ein verlorener Handschuh, dachte Hilda und drehte die Lautstärke auf. Das musste diese Tina Rosenkvist sein, die Rose, von der sie schon so viel gehört hatte. Das war einfach unglaublich, dass sie noch lebte! Der Ehemann hatte sie also ein Jahr lang versteckt gehalten. Pfui Teufel, wie viele Verrückte es gab.
Ihre Gefühle fuhren Achterbahn. Sie war in einer aufregenden Mischung angeekelt, aufgeregt und hellwach und dachte, dass trotz allem auch das Unwahrscheinlichste möglich war. Die Hoffnung war nicht sinnlos, nicht immer. Es konnte auch das passieren, was kein Mensch erwartete.
Die Mutter von Tina Rosenkvist war vor einer Weile im Fernsehen gewesen und hatte trotzig behauptet, ihre Tochter sei noch am Leben. Sie klang überzeugt und das gegen alle Wahrscheinlichkeit, die eher besagte, dass die Leiche der Tochter irgendwo in einer Felsspalte oder einer Grube oder im Meer lag. Die Hoffnung perlte wie durch eine Wasserader unter der Erde. Jetzt würde die Mutter wahrscheinlich triumphierend sagen: »Ich habe es ja gewusst!«
Hilda fand die ganze Psychologie spannend. Hatte sie selbst vielleicht dazu beigetragen, Tina Rosenkvist zu finden? Der Gedanke reizte sie. Sie hatte gesehen, wie der Ehemann Frauenkleider kaufte, und dann die Polizei angerufen. Warum hatte sie ihren Namen nicht angegeben? Warum war sie so feige gewesen? Diese ewige Heimlichtuerei, die sie ihr ganzes Leben lang schon verfolgte, immer vertraute sie am meisten dem Schweigen, man schwieg und erzählte nichts.
Mit einem Mal war sie ihre verborgene Vergangenheit leid. Sie wollte da raus, wie aus einem zu kleinen Kokon, wollte von sich erzählen. Vielleicht würde sie das mit Jens beginnen können. Er hatte zumindest schon erfahren, dass sie einen Bruder in Hjortfors hatte. So weit war sie gegangen. Und als sie davon erzählt hatte, klang das völlig normal. Warum sollte es auch nicht normal sein, einen Bruder zu haben?
Der Wald glotzte sie auf beiden Seiten der Straße finster an. Sie war schon durch Bockara gefahren. Wieder musste sie an Tina Rosenkvist denken, an das klaustrophobische Gefühl, eingeschlossen zu sein und von dem Mann nur dann mit Nahrung versorgt zu werden, wenn es ihm passte.
Als sie auf die Bruksgatan in Hjortfors einbog, brach die Sonne durch. Sie sah sofort, dass Sams Fahrrad weg war. Wahrscheinlich war er damit zur Hütte gefahren. Sie parkte das Auto auf dem Grundstück, schloss die Eingangstür auf und ging in die Küche, goss Dickmilch in ein Glas und stellte sich ans Fenster. Die Aussicht hatte sich seit ihrer Kindheit
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