Tod in der Walpurgisnacht
Plötzlich war ihr die Buchseite gleichgültig, sie knickte ein Eselsohr hinein und legte das Buch auf den Tisch. Die Mikrowelle ging aus. Der Fernseher lief immer noch. Als er kam, knarrte der Fußboden in der Diele.
»Ist das schön, zu Hause zu sein«, sagte er, stellte den Teller und das Bierglas auf den Tisch und ließ sich im Sessel nieder.
»Anstrengender Tag?«
»Na ja, aber es tut sich ein bisschen was. Und dann ist das Unglaubliche passiert, dass …«
Er verstummte und starrte auf den Bildschirm. Veronika nahm die Fernbedienung und stellte lauter.
»Eine Frau aus der Gegend von Oskarshamn, die ein Jahr lang verschwunden war, ist in ihrem eigenen Haus lebend aufgefunden worden. Ihr Ehemann hatte sie in einem eigens konstruierten Kellerraum versteckt gehalten. Die Tür war von einem Tresor verdeckt gewesen …«
»Tina!«, rief Veronika und schlug sich eine Hand vor den Mund. »Großer Gott!«
Claes nickte. Sie sahen den kurzen Beitrag schweigend bis zum Ende.
»Es ist einfach unglaublich, dass sie lebt, das hätte ich nicht für möglich gehalten«, sagte sie erstaunt.
»Das haben nicht viele für möglich gehalten«, erwiderte er trocken und bugsierte sich eine Gabel Spaghetti carbonara in den Mund.
Sie betrachtete den Teller und suchte nach dem rohen Eigelb. »Hast du kein Ei dazugetan?«
»Nein, hatte keine Lust, dafür habe ich viel Parmesan drübergestreut.«
»Wie geht es der Rose?«, fragte sie dann.
»Keine Ahnung. Physisch wird sie sich bestimmt erholen, alles andere kann ich nicht sagen.«
Sie sprachen eine Weile über diese seelische Hölle.
»Jedenfalls wird sie nicht vor einem großen Presseaufgebot mit Mikrofonen sitzen und von ihrem Leben als Gefangene ihres eigenen Ehemannes berichten können. Ziemlich lange nicht, wenn überhaupt jemals«, sagte er und führte das Bierglas zum Mund.
»Das ist doch total krank! Sie ein ganzes Jahr eingesperrt zu halten!«
»Es gibt noch Schlimmeres.«
»Aber warum habt ihr das Versteck nicht schon zu Anfang gefunden, als ihr das ganze Haus auf den Kopf gestellt habt?«
Er schluckte den Vorwurf hinunter. In der Art würden sie noch mehr zu hören bekommen, wenn nicht noch schlimmer. Wahrscheinlich würde es die reinste Sintflut an Vorwürfen geben. Da musste man jedes Wort genau abwägen, sich in der Mitte durchschlängeln, wahrheitsgetreu antworten und vielleicht sogar ein wenig demütig sagen, dass man sein Bestes getan habe, dass es aber nicht genug gewesen sei.
»Damals gab es das Versteck noch nicht, zumindest glauben wir das«, erklärte er. »Vermutlich hatte der Mann sie woanders versteckt, während er das Gefängnis gebaut hat. Das ist unser Verdacht.«
»Aha. Unglaublich.«
»Pär Rosenkvist ist nun auch nicht gerade eine Plaudertasche. Es wird harte Arbeit sein, etwas aus ihm rauszukriegen.« Er kaute frenetisch. »Meine Güte, hatte ich einen Hunger!«, sagte er. »Übrigens hatte Pär Rosenkvist scheinbar in der letzten Zeit genug von Tina und ist gar nicht mehr runtergegangen, um ihr etwas zu essen zu bringen.«
Veronika sagte nichts. Sie runzelte nur die Stirn und seufzte in einer Mischung aus Schrecken und Mitgefühl.
»Was wird jetzt aus den Kindern?«, fragte sie.
»Das Jugendamt ist eingeschaltet. Aber sobald ihre Mutter wieder auf die Füße gekommen ist, werden sie wohl bei ihr leben dürfen. Pär wird auf jeden Fall erst mal hinter Gittern sitzen.«
Diese Feststellung musste erst einmal wirken.
»Die Presse wird sich darauf stürzen, Bilder vom Haus machen und Interviews mit den Nachbarn«, sagte sie dann. »An ihrer Stelle würde ich wegziehen.«
»Vielleicht macht sie das ja«, sagte er gleichgültig. »Aber meist legt sich das auch wieder. Es kommen wieder neue Katastrophen, auf die man sich stürzen kann.«
»Was sagen ihre Eltern?«
»Ich habe mit der Mutter gesprochen. Sie hat geweint und gesagt, dass sie doch Recht gehabt habe. Sie war die ganze Zeit überzeugt, dass ihre Tochter noch lebt.«
»Die Hoffnung stirbt zuletzt.«
»Genau.«
Dann konzentrierte Claesson sich aufs Fernsehen. Fußball. Er hatte fertig gegessen, stellte den Teller ab, und als die Sportsendung zu Ende war, zog er zu Veronika aufs Sofa um. Sie machte ihm Platz. Er nahm ihren Fuß und massierte ihn.
»Das ist schön«, sagte sie und schloss genießerisch die Augen. »Warum bist du eigentlich Polizist geworden? Dieser schreckliche …«
»Müssen wir schon wieder darüber reden? Du weißt das doch!«
»Weil du nicht, wie es
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