Tod in der Walpurgisnacht
Wettkampf und klang wieder so väterlich bestätigend wie ein alter Mann, obwohl er das nicht war. »Mir geht’s genauso! Ich habe wirklich versucht, etwas anderes zu finden, wofür ich die guten Noten benutzen konnte, aber es hat sich nichts angeboten.«
Einer der häufigsten Gründe, warum jemand Arzt wurde, war, dass ein Elternteil auch Arzt war. Einige von Hildas Kommilitonen entstammten bekannten Arztfamilien in Lund. Die hatten sich nicht weit von ihren Wurzeln wegbewegt, sondern gingen auf eingefahrenen Wegen. Und waren zufrieden damit.
Das Einzige, was Hilda wirklich mit Leib und Leben gern machte, war zu nähen. Doch sich damit zu versorgen, erforderte Mut und Selbstvertrauen, da musste man wagen, karg zu leben und auf seine eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Deshalb sagte sie sich immer, auch wenn das wenig originell war, dass sie ja trotzdem immer noch nähen und Kleidung entwerfen konnte.
Indem sie Ärztin geworden war, hatte sie außerdem Britta-Stina und Robert etwas zurückgegeben, aber das brauchte sie hier am Tisch nicht zu verraten. Es war der Traum vieler Eltern, dass ihre Kinder Medizin studierten. Anderen zu helfen war gut, der Beruf hatte Status. Britta-Stina und Robert spendeten Geld an Hilfsorganisationen und hatten Freude daran. Reiche Menschen schenkten immense Summen an die Forschung und trugen so ihren Teil zum Guten in der Welt bei.
Hilda schob sich das letzte Salatblatt in den Mund und stand auf.
»Wer möchte noch einen Kaffee?«
Inzwischen war es fast halb vier. Veronika suchte Hilda, sie musste heute eine Stunde früher gehen.
»Könntest du für mich die Nachmittagsvisite auf der Station übernehmen?«
Das machte Hilda gern. Da gab es nicht mehr zu tun, als bestimmte Medikationen zu justieren und den Patienten, die als Nächstes operiert werden sollten, blutverdünnende Spritzen zu verschreiben.
»Die Patientin, die heute Vormittag operiert worden ist, ist inzwischen vielleicht wieder auf der Station«, sagte Veronika. »Ich habe noch nicht mit ihr sprechen und ihr sagen können, dass alles gut gegangen ist. Sag ihr, dass ich morgen zu ihr komme.«
Es war eine Patientin, bei deren Operation Hilda dabei gewesen war. Sie las sich den Bericht gründlich durch und machte sich auf den Weg zum Krankenzimmer.
Hilda stellte sich so nah an das Bett, dass es in ihren Oberschenkel drückte, und stellte sich vor, war aber nicht sicher, ob ihr Name verstanden worden war. Das war auch nicht so wichtig, zuallererst war sie als Ärztin dort. Und als Botin.
Was sie zu sagen hatte, bedeutete glücklicherweise keine unmittelbare Katastrophe für die Patientin. Allerdings konnte sie sie nicht vollständig beruhigen, denn man musste ja auf die endgültigen Ergebnisse der mikroskopischen Untersuchung warten. Wenn das PAD da war. Aber alles war weg, das konnte sie schon mal sagen.
Da sah Hilda die Augen. Die Frau musterte sie ausgesprochen forschend. Das Gesicht, der Mund mit den dünnen Lippen und die Nase, deren Spitze ein wenig roter gefärbt war, ohne dass Hilda dies mit Alkohol verbunden hätte. Verändert und geschwollen, aber schließlich war sie frisch operiert. Und doch wiederzuerkennen.
Hilda überbrachte ihr die Nachricht von Veronika, aber die Frau hörte nicht zu, vielleicht war sie noch nicht wach genug.
»Entschuldigen Sie«, sagte die Patientin, und ihre Stimme war kratzig und rasselnd, weil sie während der Operation intubiert worden war. »Wie war noch Ihr Name?«
»Hilda«, antwortete sie gehorsam und fügte dann »Hilda Glas« hinzu.
»Aha«, sagte die Frau.
Dann kam die Frage:
»Kommen Sie aus Hjortfors?«, fragte sie.
Hilda blinzelte. Einen kurzen Moment erwog sie zu lügen und nein zu sagen. Nein, sie kam nicht aus Hjortfors, sie war in Oskarshamn aufgewachsen.
Doch dann überlegte sie es sich anders.
Nach der Arbeit fuhr Hilda nicht sofort nach Hause, sondern setzte sich an den Computer am Empfang, öffnete das Dokument mit der Studie, an der sie arbeitete, und begann, den Text zu redigieren.
An der Arbeit blieb sie fast drei Stunden hängen. Sie hatte die Krankenakten noch nicht zurückgebracht, sie lagen immer noch auf dem Tisch. Da es sämtlich alte Berichte und die Patienten außerdem verstorben waren, wurde nicht danach gefragt.
Dort lag auch die Akte von ihrer Mutter Clarissa. Sie hatte sie gelesen, sie hatte begriffen, dass da irgendetwas nicht stimmte, aber die Buchstaben bereiteten ihr Schwierigkeiten, es war, als würden sie glühen. Also ließ sie
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