Tod in der Walpurgisnacht
begehrenswerte Objekte. Claesson bewegte die Frage, ob man für diese Objekte töten könnte.
Natürlich konnte man das. Das Motiv hing meist mit der Summe zusammen, die die Dinge erbrachten, und mit der wirtschaftlichen Not des Täters.
»Weißt du, was die Sachen hier wert sind?«, fragte Claesson.
»Nein, aber sicher nicht wenig«, meinte Lundin. »Viele der Gegenstände sind signierte Unikate. Wahrscheinlich sind die Glassammler zahlreich, schließlich gibt es immer Leute, die viel Geld haben.«
Soweit sie sehen konnten, schienen alle Objekte der Ausstellung an ihrem Platz zu stehen. Keine leeren Pfeiler oder Ecken oder Aufhängungen. Weder Claesson noch Lundin hatten jemals von Glasdieben in dieser Gegend gehört, zumal nicht in einer Weise, die mit einer Leiche in einem Maifeuer in Verbindung gebracht werden konnte.
»Hier scheint es keine Überwachungskameras zu geben«, meinte Lundin und ließ den Blick in alle entlegenen Winkel schweifen.
»Das habe ich auch schon bemerkt«, erwiderte Claesson.
D ie Tür war nicht verschlossen gewesen, man musste nur eintreten. Lundin meinte, dass es später am Tag trotz des Maifeiertags noch Aktivität in der Hütte geben würde. Zumindest eine Schicht würde arbeiten und als Vorführung für die Touristen Glas blasen. Der neue Besitzer hatte das gegen die Proteste und den Widerwillen einiger Hüttenarbeiter durchgedrückt. Man musste in solchen Zeiten schließlich etwas bieten.
»Das hier ist offensichtlich ein tief in den småländischen Wäldern gelegener Ort, wo man noch an die Ehrlichkeit der Menschen glaubt«, bemerkte Claesson.
»Es liegt ein gewisser Stolz darin, sich auf den anderen verlassen zu können«, erwiderte Lundin.
»Leider vielleicht auch eine gewisse Naivität«, setzte Claesson hinzu und dachte an die Kulturschätze in den Kirchen des Landes entlang der Landstraßen, die man bisher ebenso großzügig wie blauäugig zur Besichtigung freigegeben hatte, indem man einfach die Kirchentür offen ließ, ohne die Räume zu bewachen.
Damit war jetzt Schluss. Nachdem einige Kirchen ihrer Kleinodien beraubt worden waren, die sodann ins Ausland verschwanden, sah man sich gezwungen, die Räume abzuschließen.
Sie gingen hinaus, wo ihnen die Wärme entgegenschlug.
»Warm und gut!«, stöhnte Lundin und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
Ein unglaublich schöner Erster Mai mit klarem blauen Himmel.
»Erstaunlich, wie sich das so schnell wenden kann«, meinte Claesson. »Gestern war es noch kalt und rau.«
Er sah mit zusammengekniffenen Augen zu den Baumwipfeln hinauf. Man konnte fast zusehen, wie sich die Blätter an den Birken entwickelten.
Der Parkplatz war jetzt mehr bevölkert. Ein paar Besucher hatten sich mit ihren mitgebrachten Kaffeeutensilien an die Picknicktische auf der großen Wiese zwischen Parkplatz und Hütte gesetzt, aber die meisten waren wahrscheinlich im Glas-Shop.
Vor dem Eingang zur Hütte standen zwei Männer. Mit gespanntem Blick beobachteten sie Claesson und Lundin. Das Logo der Glashütte, ein stilisierter Hirsch, war auf den Mützen zu erkennen. Offensichtlich gab es Augen, die jeden Schritt verfolgten, den sie in der Gemeinde unternahmen.
Sie beschlossen, ins Restaurant zu gehen. Während sie darauf warteten, dass Peter Berg sich aus der Gerichtsmedizin in Linköping meldete, konnten sie genauso gut etwas essen. Die Hütte würden sie später besichtigen.
Das kleine Restaurant lag in einem Holzhaus mit Sprossenfenstern und sah aus wie ein klassisches Wirtshaus, wenn auch mit Selbstbedienung.
Sie nahmen sich ein Tablett und ließen sich dann an einem Fenstertisch nieder. Das Essen war vollkommen in Ordnung und bestand aus Lachs mit Remouladensoße und Salzkartoffeln, dazu ein Mineralwasser, das erfrischend in der Kehle perlte.
Claesson wählte die Nummer von Peter Berg, der aber nicht ranging. Also rief er Veronika an, die er aber auch nicht erreichte.
Das Restaurant war ungefähr halbvoll. Zwei Tische weiter unterhielt sich ein graumeliertes Paar auf Deutsch. Der Mann und die Frau trugen beide praktische Freizeitkleidung: Westen mit vielen Taschen über karierten Hemden. Beide hatten dieselbe Physiognomie mit einem etwas breiten und kastigen Rücken. Sie ähnelten einander, wie es bei Paaren, die lange zusammenlebten, oft der Fall war. Auf dem Tisch thronte eine gigantische Kameratasche, und vor sich hatten sie eine Karte ausgebreitet.
Jetzt summte das Handy in Claessons Hosentasche. Er blickte auf das Display.
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