Tod in der Walpurgisnacht
Menge von Informationen, die sie aussortieren mussten. Wachheit und Sturheit und dann all die Stunden, die mit Berichten und Protokollen verbracht wurden. Es war die Hölle, aber gleichzeitig auch sehr anregend. Manchmal machte ihn das direkt ein wenig high. Im Moment war sein Eifer nur deshalb etwas eingeschränkt, weil er schlecht geschlafen und am Abend zuvor zu viel Schnaps getrunken hatte.
Er versuchte sich zusammenzureißen. Wache Sinne waren immer von Vorteil. Nur wenige Ermittler besaßen die Fähigkeit, »um die nächste Ecke zu schauen«, wie eine bekannte Persönlichkeit der Kriminologie es genannt hatte. Claesson wusste, dass er während einer Ermittlung ein gewisses Gefühl für die unterschiedlichen Zustände der Dinge und die psychischen Defizite der Menschen hatte. Vielleicht befähigte ihn das, ein wenig um die nächste Ecke zu schauen.
Lundin sprang ins Auto, und sie fuhren weiter. Sie kamen an einem Hof vorbei, der ein Café beherbergte.
Sie drehten noch eine Runde durch die Gemeinde und fuhren dann in den Sodavägen. Hier standen ausschließlich Einfamilienhäuser, sie mussten zu Nummer 34. Die reinste Idylle. Mit etwas Phantasie konnte man hinter den Grundstücken den Hjortsjön erahnen, dazwischen lag der Wald.
Lundin hielt an.
»Lass uns, bevor wir hineingehen, noch mal die Theorie mit dem Selbstmord überprüfen«, sagte Claesson und blieb schwerfällig im Auto sitzen. »Einfach nur, damit wir wissen, woran wir sind.«
»Okay«, sagte Lundin und zog den Zündschlüssel ab.
»Wenn wir den Film schnell Revue passieren lassen, was bei dem Feuer passiert sein könnte, dann kann man sich vorstellen, dass sich Skoglund, was immer ihn umtreibt, bei Einbruch der Dunkelheit zum Scheiterhaufen begibt, denn die Leiche muss ja nachts auf das Feuer gekommen sein.«
»Okay«, sagt Lundin.
»Und wie ist er dahin gekommen? Ist er gelaufen oder was? Das würden wir uns dann fragen, oder?«
Claesson sah zu Lundin, der nickte.
»Wir haben keine Spuren von einem Fortbewegungsmittel gefunden, weder von einem Fahrrad noch von einem motor betriebenen Gefährt. Wenn das Opfer mit dem Fahrrad runtergefahren ist, dann könnte sogar jemand das Fahrrad gestohlen haben, wenn es nicht angeschlossen gewesen ist. Vielleicht taucht etwas dergleichen auf, wenn wir die Umgebung näher untersuchen, der Wald rundherum ist schließlich groß«, sagte Claesson und holte Luft. »Man könnte sich natürlich auch vorstellen, dass Skoglund gebracht worden ist, mal ganz abgesehen davon, ob sein Tod nun freiwillig oder unfreiwillig war«, fuhr er fort.
»Das denke ich auch«, sagte Lundin.
»Wenn wir uns jetzt, ehe wir mit der Witwe sprechen, vorstellen, wie dieser Mann, ein Rentner aus dem Ort, allein in der Dunkelheit vor dem Feuerholz steht, was macht er dann? Nun, er fängt an, Bretter und Reisig hochzuheben, um reinklettern zu können. In welchem Sinneszustand wird er sich dann wohl befinden. Verzweifelt? Gleichgültig? Psychotisch? Könnte ihn jemand anders dazu gezwungen haben? Wir wissen es nicht, es ist in jedem Fall eine unangenehme Situation. Es schaukelt und knackt in dem Scheiterhaufen, als er sich hineinpresst, es tut weh, aber er treibt sich selbst dazu an und klemmt sich zwischen zerschlagene Möbel, ausrangierte Sprossenstühle und Bücherregale, vielleicht verletzt er sich an ein paar rostigen Nägeln. Spürt er etwas, oder ist alles weg? Was macht er dann?«
Claesson verstummte.
»Ich habe darüber schon nachgedacht, als ich heute Morgen den Tatort angeschaut habe. Stellen wir uns mal vor, wie er mitten in dem Haufen liegt, um den sich bald alle Einwohner von Hjortfors versammeln werden. Regt es ihn an, sich die Gesichter der Zuschauer vorzustellen? Erregt ihn die Vorstellung von dem Aufstand, den er auslösen wird? Was denkt er? Was tut er? Nimmt er Schlafmittel, trinkt er Alkohol, oder verpasst er sich irgendeine Überdosis?«
Claesson wurde wieder still.
»Mach weiter«, forderte Lundin ihn auf.
»Die forensische Untersuchung wird uns natürlich Aufschluss darüber geben, ob er irgendwas genommen hat.«
»Es ist aber doch wohl mehr als wahrscheinlich, dass jemand die Leiche dort abgelegt hat. Warum sollen wir es so kompliziert machen?«, fragte Lundin und stieg aus dem Auto.
Das Haus, vor dem sie standen, war grün.
»Wie oft ist man nicht hier vorbeigefahren und hat sich gefragt, warum die in aller Welt ihr Haus in dieser scheußlichen Farbe gestrichen haben«, meinte Janne Lundin.
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