Tod in Innsbruck
einen Stromstoß empfangen.
»Auf Wiedersehen, Mette«, murmelte er und setzte sich an den Schreibtisch. Kaum war die Tür hinter Mette ins Schloss gefallen, zog er ein Stofftaschentuch aus seiner Gesäßtasche und tupfte sich den Schweiß von der Stirn.
* * *
Die Saxophonmelodie kletterte in quiekende Höhen hinauf, blieb dort hängen und biss sich in den Schwanz. Mist! Schon die zweite CD, die eine Macke hatte. Vera bückte sich. Während Luca seine wohlverdiente Pause genoss und in Seelenruhe einen Speckknödel verspeiste, durfte sie nicht nur allein den Laden schmeißen, sondern sich auch noch um die Beschallung kümmern. Sie warf die beschädigte CD in den Müll, nahm die nächstbeste aus ihrer Hülle und schob sie in den Schlitz. Miles Davis, »Bitches Brew«.
»Ein Hefeweizen, bitte«, rief es von oben. Die Stimme klang belegt und kam ihr bekannt vor.
Vera steckte den Kopf aus dem Stereoschrank und erhob sich.
»Groß, klein, hell, dunkel?« Sie blinzelte, um den neuen Gast gegen das Licht der Deckenstrahler zu erkennen.
»Groß und hell.« Sein Adamsapfel rollte auf und ab, als wollte er sie anspringen.
»’n Abend, Robert!«
»Hallo, Vera. Wie geht’s?« Er lächelte. Seine filigranen Finger lagen wie Spinnenbeine auf dem Tresen.
Vera verdrehte die Augen und deutete auf die besetzten Tische des Lokals. »Stress. Gebi, der Barkeeper, ist krank, und gerade heute ist die Bude voll.«
»Schade. Ich habe gehofft, wir könnten uns mal wieder über Jazzsängerinnen unterhalten.«
Sie erwiderte sein Lächeln. »Vielleicht später, wenn es ruhiger wird. Sofern du so lange bleiben willst.«
Nachdem sie sein Bier gezapft hatte, drehte sie eine Runde durchs Lokal, um leere Gläser einzusammeln und neue Bestellungen aufzunehmen. Drei große Bier für Tisch sieben, einen Pfiff und eine Cola für Tisch drei. Das Pärchen von zwei wollte zahlen. Kaum hatte sie abkassiert, winkte ihr die Frau von elf. Mit dem schwarzen Pagenkopf und der getönten Brille glich sie dieser französischen Chansonnière, die ihr Vater so mochte. Mireille Mathieu.
»Noch einen Four Roses, bitte.«
Vera deponierte das leere Whiskeyglas der Mathieu auf ihrem Tablett. Sie ließ ihren Blick über die Bar schweifen. Robert saß versunken da, den Kopf in die Hände gestützt. Trotz seiner Größe und seines muskulösen Körpers hatte er etwas Zerbrechliches an sich.
»Und Schlutzkrapfen hätte ich gern.«
»Sind leider aus. Wir haben nur noch Gulaschsuppe, Knödel mit Ei oder saure Wurst.«
Die Mathieu verzog den Mund. »Dann nichts, danke.« Sie lächelte säuerlich, beugte sich über ihr Notizbuch und begann wie wild zu kritzeln.
Als Vera den Whiskey servierte, sah sie, dass die Frau zwei Seiten mit winzigen Strichen vollgeschmiert hatte.
Vielleicht eine Schriftstellerin mit Schreibhemmung?
Oder eine biedere Ehefrau, die einmal im Leben aus ihrer Rolle ausbrechen, die Verruchte spielen und ihren Mann mit dem Pianisten betrügen wollte? Irgendetwas stimmte nicht mit ihr, aber Vera hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Unermüdlich hetzte sie zwischen der Bar und den Tischen hin und her, bis ihre Fußsohlen brannten. Erst nach dreiundzwanzig Uhr wurde es allmählich ruhiger. Luca hatte sein Spiel beendet und nippte an einem Glas Rotwein.
»Wie sieht es aus, Vera?«, fragte er.
»Schlecht für dich. Lauter Pärchen. Nur zwei Mädels an Tisch fünf, beide jung und blond, vermutlich Studentinnen. Und Tisch elf, eine Frau Mitte dreißig, schwarzer Pagenkopf, Typ frustrierte Hausfrau und angesäuselt.«
»Mille grazie, carissima.« Luca erhob sich, um seine übliche Schäkerrunde durchs Lokal zu drehen. Natürlich steuerte er zuerst Tisch fünf an. Die Girls. Vera musste grinsen, als sie mitbekam, wie gekonnt die beiden ihn abblitzen ließen.
Die Mathieu wirkte dagegen geschmeichelt, als Luca kurz darauf an ihrem Tisch saß. Doch auch bei ihr hatte er letztendlich kein Glück und machte sich schließlich allein auf den Heimweg.
Als der Großteil der Gäste gegangen war, konnte Vera sich endlich ein wenig ausruhen. Sie setzte sich neben Robert an die Bar und erzählte von ihrem Entschluss, Gesang zu studieren, und von ihrer ersten Begegnung mit Joyce Jameson. Irgendetwas an seiner Art zuzuhören lockerte ihre Zunge. Einen Augenblick lang war sie in Versuchung, über Isa zu sprechen und über die wahren Gründe, die sie hierhergeführt hatten. Im letzten Moment biss sie sich auf die Lippen. Nein. Schließlich kannte sie ihn
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