Tod in Innsbruck
war’s, Leute. Morgen, gleiche Zeit, selber Ort. Ich erwarte einen Erkenntniszuwachs.« Er klatschte in die Hände. »Hoppauf, meine Herren.«
* * *
Vera schritt schneller aus. Sie wollte nicht zu spät zu ihrer ersten Probe mit Mette kommen. Gedankenversunken überquerte sie den Rennweg und übersah dabei einen Radfahrer, der gerade noch ausweichen konnte.
Unglaublich. Alles hätte sie sich vorstellen können. Dass er eine Konzertreise absolvierte und vergessen hatte, es dem Dude zu sagen. Dass er krankfeierte. Oder mit irgendeiner heißen Loverin in den Untiefen seines Bettes abgetaucht war.
Nur was sie in der Zeitung gelesen hatte, wollte nicht in ihr Hirn. Luca tot. Ermordet.
Und die letzte Erinnerung, die sie an ihn hatte, war ein Streit. Eine Ohrfeige sogar.
Aus dem Übungsraum im vierten Stock der Akademie drangen gedämpfte Klavierklänge.
Als Vera eintrat, saß Mette versunken am Klavier. Mit einer Hand spielte sie eine Akkordfolge, mit der anderen kritzelte sie einen undefinierbaren Kringel auf ein Blatt Papier.
»Komponierst du gerade?«, fragte Vera und schielte auf das Blatt.
»Ich arbeite an meiner Sonate. Am zweiten Satz.«
»Aber wo sind die Notenlinien?« So eine Partitur hatte Vera noch nie gesehen.
»Ich bevorzuge graphische Notation«, sagte Mette, zog das Blatt weg und verstaute es in ihrer Mappe.
Der Begriff »graphische Notation« war Vera neu. Sie beschloss, ihn zu googeln, um sich keine Blöße zu geben. »Hast du die Nachrichten gehört? Luca wurde umgebracht. Luca Briguglia, der Jazzpianist.«
»Umgebracht? Wie schrecklich! War das nicht der Blinde, der mir nach meinem Konzert gratuliert hat?«
»… und dabei so aufdringlich war, dass ich ihm deswegen eine gescheuert habe.«
Mette runzelte die Stirn. »Kanntest du ihn gut?«
»Erst seit Kurzem. Vom Blue Note, wo ich kellnere.«
»Das sind ja furchtbare Neuigkeiten.«
»Und es geht heftig weiter. Halte dich fest. Ich habe mit Bernie gesprochen. Sie hat tatsächlich gelogen, wie du es vermutet hast. Isa wurde missbraucht, und zwar von Sofronsky.«
»Ach du Schande!«
»Du wirkst nicht sonderlich überrascht.«
Eine zarte Röte zog sich über Mettes Wangen. »Na ja, ich habe Gerüchte gehört. Isa galt als Sofronskys Schätzchen.«
»Warum hast du mir das bei unserem letzten Treffen nicht erzählt?« Forschend sah Vera in Mettes Augen.
Die Kleine hielt dem Blick stand. »Eben deshalb. Weil es Gerüchte waren. Ich habe es nicht geglaubt und wollte es nicht noch weiter verbreiten.«
»Musstest du auch Atemübungen machen? Mit entblößter Brust? Und hat er dir musikalische Leidenschaft auch durch Zungenküsse vermittelt?«
»Niemals.« Mette schüttelte den Kopf. »Aber vielleicht bin ich nicht naiv genug, um ein Opfer zu sein.«
»Du hast recht. Isa war sehr naiv. Mutter hat alles Unangenehme von ihrem Wunderkind ferngehalten, solange sie die Möglichkeit dazu hatte. Das Ausmaß von Isas Weltfremdheit wird mir erst jetzt klar, wenn ich ihr Tagebuch lese.«
»Was wirst du tun?«
Vera zuckte mit den Schultern. »Ich muss versuchen, andere Betroffene zu finden. Dann zeige ich Sofronsky an. Hast du zufällig noch mehr Gerüchte gehört?«
Mette verschränkte ihre Arme und legte den Kopf darauf. »Ich glaube, ja«, sagte sie leise. »Vor ziemlich genau einem Jahr, als ich noch ganz neu in Innsbruck war, habe ich mir einen Klassenabend von Sofronskys Schülern angehört. Isa spielte das ›Italienische Konzert‹ von Bach, übrigens sehr gut. Sofronsky war angetan. Eine andere Schülerin, eine gewisse Xenia, hat er dagegen total niedergemacht. Sie hat den ersten Mephistowalzer von Liszt gespielt, und zwar ziemlich virtuos.« Mette griff in die Tasten und spielte ein paar Takte, vermutlich den Anfang dieses Walzers. »Nach dem Konzert hat Xenia mich angesprochen und mich vor Sofronsky gewarnt. Ich sei genau der Typ, auf den er stehen würde. Im Moment habe er zwar Isabel, aber das könne sich schnell ändern. ›Irgendein Betthäschen hat er immer‹, sagte sie. ›Ich spreche aus Erfahrung.‹« Mette senkte die Stimme. »Damals habe ich Xenia nicht geglaubt. Sie wirkte verbittert. Jetzt sieht das natürlich anders aus.«
»Kennst du den vollen Namen und die Adresse von dieser Xenia?«
Mette schüttelte den Kopf. »An den Nachnamen erinnere ich mich nicht mehr. Er klang griechisch. Irgendwas mit D, Dim…, nein, Dmit…« Sie stöhnte. »Vielleicht fällt es mir später ein. Ich weiß noch, dass Xenia kurz nach
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