Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Avanzini
Vom Netzwerk:
Haus herumzuwachsen, als wollte er es verspeisen.
    »Wohnen Sie etwa ganz allein hier?«
    »Das Haus gehört meiner Tante. Sie ist leider kränklich und geht nicht mehr gern vor die Tür.«
    Robert lehnte sein Rad an die Hausmauer und nahm die beiden Tüten. Das Mädchen wollte sie ihm abnehmen.
    »Haben Sie zufällig Verbandsmaterial zu Hause?«, fragte er.
    »Haufenweise.«
    »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich komme kurz mit rein, sehe mir die Wunde an und wechsle den Verband. Dann sind Sie mich los.«
    Sie zögerte einen Moment, zog die Brauen zusammen, als müsste sie nachdenken. »Einverstanden«, sagte sie schließlich.
    Von innen wirkte das Haus dumpf und muffig. Beengend. Zu viele alte Möbel standen herum, zu wenig Licht fiel durch die winzigen Fenster.
    »Wohin kommen die Tüten?«
    »In die Küche, die ist im ersten Stock.« Sie ließ ihm den Vortritt.
    »Was fehlt Ihrer Tante eigentlich?«
    Die alte Holztreppe ächzte unter Roberts Gewicht.
    »Sie hatte einen leichten Schlaganfall und leidet an chronischer Arthritis.«
    »Wenn Sie wollen, kann ich ja anschließend nach ihr sehen.« Ein Luftzug wehte süßen Blumenduft in seine Nase. Verfaulten Blumenduft, korrigierte Robert sich. »Sagen Sie, wonach riecht es hier?«
    »Sind Sie immer so neugierig?«
    »Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts. Das hat schon der alte Goethe gesagt.«
    »Neugier tötet die Katze, sagt ein altes Sprichwort.« Mette Kindler lachte glockenhell auf, während sie die Küchentür aufstieß.
    * * *
     
    In der ersten Nacht in Freiheit hatte Vera geschlafen wie ein Murmeltier.
    Sie duschte, trank den üblichen Morgenespresso und überlegte, was sie machen sollte.
    Auf alle Fälle würde sie sich einen neuen Job suchen. Und sie musste Joyce anrufen, um die Gesangsstunde abzusagen. Sie hatte nichts geübt und wollte ihre fabelhafte Lehrerin nicht enttäuschen. Dafür nahm sie sich vor, die Lieder zu üben.
    Eigentlich könntest du die Zelte abbrechen und nach München zurückgehen. Sofronsky war tot, ihre Mission zu Ende. Komischerweise hatte sie noch keine Sekunde daran gedacht. Das Medizinstudium war abgehakt. Sie wollte Sängerin werden, mit jeder Faser ihres Körpers.
    Aber bevor sie sich um Job und Studium kümmerte, wollte sie sich ein neues Paar Schuhe kaufen. Das musste sein. Natürlich konnte sie es sich überhaupt nicht leisten. Es war schlichtweg Wahnsinn.
    Und wenn schon!
    Vorfreude ließ ihre Fingerspitzen kribbeln, als sie wenig später den Burggraben entlangschlenderte und die Auslage einer Schuhboutique inspizierte. Ein Paar Pumps aus magentafarbenem Veloursleder stach ihr ins Auge.
    Sie wollte gerade das Geschäft betreten, als sie erstarrte. An der Eingangstür prangte ein Plakat. Eine Konzertankündigung. Musiker des Innsbrucker Symphonieorchesters spielten Werke von Wolfgang Rihm, Helmut Lachenmann und John Cage. Auf dem Plakat war eine Partitur abgebildet. Eine Art Koordinatensystem, in dem sich Punkte, Kästchen und Wellenlinien tummelten. Diese oder eine ähnliche Partitur hatte sie schon einmal gesehen, in der Biographie von John Cage. Aber was ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ, war ein anderer Zusammenhang, der ihr schlagartig klar wurde und eine ganze Batterie von Lichtern in ihrem Hirn zum Blinken brachte.
    Unmöglich. Vollkommen verrückt.
    War sie im Gefängnis paranoid geworden?
    Und wenn doch etwas dran ist?
    Sie musste Heisenberg anrufen.
    In einer Tasche ihrer Jeans fand sie seine Visitenkarte. Hastig tippte sie die Nummer in ihr Handy.
    »Landeskriminalamt, Linda Strillinger.«
    »Ich möchte Herrn Heisenberg sprechen. Es ist wichtig!«
    »Der Chef ist unterwegs.«
    »Es geht um die Mordserie.«
    »Tut mir leid, im Moment ist die gesamte Abteilung unterwegs. Kann ich was ausrichten? Wie ist Ihr Name?«
    »Scheiße!« Vera beendete das Gespräch.
    Sie wählte die zweite Nummer, die auf der Karte stand. Vermutlich Heisenbergs Mobiltelefon.
    Es läutete dreimal, dann brach die Verbindung ab.
    »Verdammt!« Der Mistkerl hatte aufgelegt. Von wegen »Rufen Sie mich jederzeit an«.
    Eine Stimme in ihrem Kopf sagte: »Lass es. Misch dich nicht ein. Das hat dir schon genug Ärger gebracht.«
    Aber da war noch eine andere Stimme, eine lautere. »Willst du den Kopf in den Sand stecken wie deine Mutter? Die unangenehmen Dinge einfach aussparen, als ob sie dann aufhören würden zu existieren?«
    Sie musste Gewissheit haben. Sie lief zum Taxistandplatz am Marktgraben. Kein Taxi weit und breit.
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher