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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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ausrichten, dass in der Rua António Maria Cardoso mehr als einer zu Boden gegangen ist.«
    »Hat man weitere Verletzte ins Krankenhaus gebracht, während ihr dort wart?«
    »Man hat mich in ein Zimmer gesperrt, damit ich nicht abhauen konnte.«
    Der Oberst nickte, runzelte die Stirn und lächelte seinem Sohn dann zu.
    »Du bleibst jetzt hier und passt auf deine Mutter auf«, sagte er, zog seine Tochter an sich und küsste sie auf die Stirn. »Niemand verlässt die Wohnung, bevor ich sage, dass es sicher ist.«
    »Du wirst schon sehen«, sagte Zé, um seinen Vater zu provozieren, »sie tanzen auf der Straße.«
    »Mein Sohn … der Kommunist«, sagte der Oberst kopfschüttelnd.
     
    Um halb eins kam der Wärter in Felsens Zelle im Gefängnis von Caxias und stellte ein Tablett mit Essen auf das Bett. Der Lärm, der seit dem Morgen aus den anderen Abteilungen des Gefängnisses in diesen Trakt drang, war nicht wieder abgeklungen. Die Politischen waren inzwischen bei der fünfzigsten Wiederholung des antifaschistischen Widerstandsliedes »Venham mais cinco«, und die Wärter hatten es längst aufgegeben, sie zum Schweigen zu bringen.
    »Ist irgendwas passiert, wovon ich wissen sollte?«, fragte Felsen.
    »Nichts, was Sie betrifft«, sagte der Wärter.
    »Ich wollte auch lediglich die veränderte Atmosphäre ansprechen, die heute in diesem Gefängnis herrscht.«
    »Einige unserer Freunde werden uns vielleicht schon bald verlassen.«
    »Ach ja? Warum denn das?«
    »Bloß eine kleine Revolution … wie gesagt nichts, was Sie betrifft.«
    »Danke«, sagte Felsen.
    »Nada« , sagte der Wärter.
     
    Als Dr. Aquilino Oliveira der Krankenschwester den Flur der Entbindungsstation des Saõ-José-Krankenhauses hinunter folgte, hätte er glücklich sein sollen. Er hatte gerade erfahren, dass sein viertes Kind ein Junge war, 3700 Gramm schwer und vollkommen gesund. Eine Flügeltür nach der anderen aufstoßend, plapperte die Schwester über die Schulter auf ihn ein, ohne dass es dazu irgendeiner Reaktion seinerseits bedurfte.
    »… vier Tote und drei Verletzte. Das haben sie unten in der urgência gesagt, bloß vier. Sie können es kaum fassen. Ich kann es auch nicht glauben. Am Terreiro do Paço und auf dem Largo do Carmo stehen Panzer, aber sie tun nichts. Sie stehen einfach nur da. Die Soldaten haben PIDE-Agenten verhaftet, aber nicht, um sie zu bestrafen, verstehen Sie, nur zu ihrem eigenen Schutz. Die Soldaten … ich habe es selbst nicht gesehen, aber es heißt, die Soldaten hätten sich rote Nelken in ihre Gewehrlaufe gesteckt, damit die Leute Bescheid wissen, verstehen Sie, damit sie wissen, dass sie auf niemanden schießen werden. Sie sind da, um die Menschen zu befreien. Nur vier Tote in einer Nacht wie dieser mit Panzern auf den Straßen und Schlachtschiffen auf dem Tejo. Finden Sie das nicht auch einfach unglaublich, Senhor Doutor? Ich finde, das ist unglaublich. Wissen Sie, Senhor Doutor, ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal im Leben sagen könnte, aber ich bin stolz. Ich bin stolz darauf, Portugiesin zu sein.«
    Sie stieß die Tür der Station auf und führte den Doktor herein. Seine Frau lag hinter einer Trennwand in einer Ecke des Raumes, in dem sechs weitere Frauen untergebracht waren. Mit seinen glatten Sohlen kam er auf dem gebohnerten Boden ins Rutschen und musste sich an einem Bett festhalten, um nicht hinzufallen.
    »Vorsicht«, sagte die Krankenschwester, die mit quietschenden Gummisohlen voranstapfte.
    Er trat hinter den Raumteiler. Seine Frau saß aufrecht im Bett und sah ihn besorgt an.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie.
    »Er wäre beinahe ausgerutscht«, sagte die Schwester. »Ich habe denen schon zigmal gesagt, sie sollen den Boden nicht so viel bohnern. Für uns ist es ja in Ordnung, aber jeder, der hier mit Ledersohlen reinkommt, hat Probleme. Wissen Sie schon, wie Sie ihn nennen wollen?«
    »Noch nicht.«
    »Na, seinen Geburtstag werden Sie jedenfalls ganz bestimmt nicht vergessen.«
    Ana Rosa Pinto saß mit ihrer Mutter in der Küche. Die Frauen hielten sich an den Händen, weinten und blickten immer wieder zu dem dreijährigen Carlos, der auf dem Boden spielte. Der Tag hatte für Ana Rosa mit einem Ärgernis begonnen, weil man sie nicht an Bord der Fähre über den Fluss lassen wollte, obwohl sie einen Arzttermin für Carlos in Lissabon hatte. Man hatte auf die mit ausgefahrenen Kanonen im Tejo vor Anker liegende Almirante Gago Coutinho gewiesen, und sie war ängstlich und begierig auf

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