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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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mit drei Schulfreunden billigen bagaço , als der Besitzer aus seiner Wohnung über dem Lokal die Treppe heruntergepoltert kam.
    »Irgendetwas passiert«, sagte er atemlos und schockiert. »Ich habe Radio gehört … ein paar Armeeoffiziere sind in das laufende Programm geplatzt. Jetzt läuft ununterbrochen Musik.«
    »Wenn du schlafen gehen willst«, sagte Zé, »musst du keinen Staatsstreich erfinden.«
    »Das ist mein Ernst.«
    Die sieben verbliebenen Gäste sahen den Mann eine ganze Weile eindringlich an, bis jeder gesehen hatte, wie ernst es ihm war. Dann standen sie wie ein Mann auf und traten auf die Straße. Zé Coelho strich sein schulterlanges Haar über den Wolfsfellkragen seines bodenlangen wollenen capote Alentejano , und gemeinsam rannten sie die enge gepflasterte Gasse zu dem Platz hinunter.
    Sie waren nicht allein. Auf der Praça de Luis de Camões hatte sich eine Menschenmenge versammelt, und um das Denkmal in der Mitte des Platzes hallten Worte wie »Putsch« und »Revolution« wider. Nach einer Viertelstunde hatte sich die Erregung so weit gesteigert, dass der Ruf erschallte, auf die Zentrale der PIDE/DGS in der Rua António Maria Cardoso zu marschieren. Sie kamen vom Largo do Chiado in die Straße, wo sie auf eine weitere Menschenmenge stießen, die von der Rua Vitor Cordon kam.
    Die Türen hinter dem Torbogen und den hohen Mauern waren geschlossen, die Fassade war dunkel, doch ein blasser Schimmer in den Fenstern deutete an, dass irgendwo in dem Gebäude Licht brannte. Menschen drängten sich vor dem Eingang, hämmerten mit den Fäusten an die Tür und brüllten Unverständliches. Zé stand in der Mitte der Menge, reckte die Faust und brüllte: »Revolution!« Und weil er dazu neigte, stets einen Schritt zu weit zu gehen, fügte er noch hinzu: »Schlagt ihnen die Köpfe ab!«
    Im obersten Stockwerk des Gebäudes wurden Fenster geöffnet, und drei dunkle Gestalten beugten sich hinaus. Vier Schüsse zerrissen die Nacht. Die Menge stob kreischend und schreiend auseinander, weitere Schüsse fielen. Schuhe und Stiefel donnerten über das Kopfsteinpflaster. Zé rannte den Hügel hinauf, bis er im Gedränge ins Stolpern geriet, stürzte und sich auf dem Pflaster abrollte. Auf dem Boden kauernd vernahm er mit einem Mal schreckliche Geräusche aus der Kehle eines Mannes, der ein Stück weiter unten vor dem PIDE-Gebäude lag. Zé blickte zu den Fenstern im obersten Stockwerk, konnte jedoch nichts erkennen. Geduckt rannte er die Straße hinunter, packte den Mann am Kragen und zerrte ihn den Hügel hinauf. Als sie in Sicherheit waren, ließ er sich fallen und tastete nach dem röchelnden Mann. Er griff in eine glitschige, warme Wunde an seinem Hals.
     
    Joaquim Abrantes hatte sehr schlecht geschlafen. Um sechs Uhr wachte er erschlagen und schlecht gelaunt auf, als hätte er am Abend zuvor zu viel getrunken. Er versuchte, seine Söhne anzurufen, bekam jedoch immer noch keine Verbindung. Dann öffnete er das Fenster und blickte auf die leere Straße hinunter. Irgendetwas stimmte nicht. Die Straße hätte belebter sein müssen. Er schnupperte die Luft, die nach einem ersten Hauch von Frühling nach einem langen Winter roch, obwohl es längst Frühling war. Vom elevador zum Chiado kam ein junger Mann mit wirrem Blick die leere Straße hinuntergerannt, brüllte: »Es ist vorbei!«, und lief weiter zum Rossio.
    Man hörte Autohupen und das leise Geplätscher von Gesprächen und Gesang. Abrantes beugte sich weiter aus dem Fenster. Nein, er hatte sich nicht verhört. Die Menschen sangen auf der Straße.
    »Das ist schlecht«, sagte er laut zu sich selbst und ging zurück zum Telefon.
    »Was ist schlecht?«, fragte Pica, die in ihrem roten Morgenmantel aus Seide in der Schlafzimmertür stand.
    »Ich weiß es noch nicht, aber es klingt nicht gut. Die Menschen singen auf der Straße.«
    »Sie singen?«, fragte Pica entzückt und verblüfft, dass tatsächlich etwas passierte. »Ach, was soll’s. Selbst wenn es einen Putsch gegeben hat …«
    »Einen Putsch!«, brüllte Abrantes. »Du kapierst es nicht, oder? Das ist kein Putsch. Das ist eine Revolution. Die Kommunisten sind da.«
    »Na und?«, sagte sie und löste sich mit einem Schulterzucken vom Türrahmen. »Worüber machst du dir Sorgen? Die Hälfte deines Geldes ist in Zürich, und die andere in Saõ Paulo. Sogar das Gold ist außer Landes …«
    »Du sollst das Gold nicht erwähnen«, knurrte Abrantes und drohte ihr mit dem Finger. »Du sollst nicht mal das Wort

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