Tod in Lissabon
lediglich ein Gedanke.«
»Er war in der Privatresidenz des Innenministers zum Abendessen eingeladen.«
Ich hielt den Mund. Die Situation erschien mir für Kommentare über die Freundschaft des Anwalts mit dem Minister denkbar ungeeignet. Narciso ließ den Kopf sinken und starrte auf die Schreibtischplatte.
»Ich ziehe Sie von dem Fall ab«, sagte er leise. »Abílio Gomes wird ihn übernehmen. Sie fahren nach Alcântara und untersuchen eine Leiche, die in einer Mülltonne auf dem Hinterhof des Wharf-One-Klubs gefunden wurde.«
»Aber Senhor Engenheiro, Sie haben gar nicht …«
»Sie haben Ihre unprofessionelle Haltung im Fall Catarina Sousa Oliveira hinlänglich unter Beweis gestellt«, unterbrach er mich und malte mit den Händen eine mögliche Schlagzeile des Correio da Manhã in die Luft. »Ermittelnder Beamter hat Affäre mit Zeugin. Und jetzt nehmen Sie Agente Pinto, und fahren Sie nach Alcântara.«
Ich saß in meinem Büro und kaute auf diversen Nägeln. Carlos hatte eine Notiz mit Lourenço Gonçalvez’ Telefonnummer und Geschäftsadresse in der Avenida Almirante Reis hinterlassen. Ich wählte die Nummer und fragte mich, warum Narciso mich am Morgen zuvor noch dafür gelobt hatte, dass ich in der falschen Richtung ermittelte, um mich dann vierundzwanzig Stunden später, als ich gerade anfing, echte Fortschritte zu machen, kaltzustellen. Niemand nahm ab. Carlos kam herein und setzte sich vor meinen Schreibtisch.
»Wir haben ein Problem«, sagte er.
»Ich weiß.«
»Die Zulassungsstelle will mir die Information nicht geben.«
»Wir sind von dem Fall abgezogen worden.«
»Und das wissen die schon?«, fragte er und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Vielleicht«, sagte ich und griff erneut zum Hörer.
Ich rief einen Bekannten in der Zulassungsstelle an, der mir den Gefallen bestimmt tun würde. Fünf Minuten später rief er zurück und erklärte mir, der Computer wäre abgestürzt. Ich legte auf.
»Wir haben es mit einem internen Problem zu tun«, sagte ich.
Carlos sah mich verwirrt und fröstelnd an wie ein Kind, das am Strand seine Eltern verloren hat. Ich berichtete ihm von dem Gespräch mit Narciso.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Es bedeutet, dass uns die Flut, nachdem wir zuvor nahe am Strand geschwommen sind, über den Festlandssockel hinaus ins offene Meer gezogen hat und wir jetzt zehn Faden dunkles kaltes Wasser unter uns haben.«
Carlos beugte sich vor und sah mich todernst an.
»Wovon reden Sie eigentlich?«
»Ich weiß es selbst nicht mehr.«
Bei den Docks in der Alcântara war es heiß, und die Leiche in der Mülltonne befand sich in einem Zustand, der die Anwesenden Taschentücher vor ihre Münder pressen ließ. Der Fotograf war da gewesen und wieder gefahren. Eine mir unbekannte Gerichtsmedizinerin streifte sich mühevoll ein paar Silikonhandschuhe über. Ich warf einen kurzen Blick auf die Leiche. Es handelte sich um einen etwa achtzehnjährigen Jungen mit dunkler Haut und welligen Haaren. Er hatte kein Gramm Fett am Körper und trug nichts als eine dunkelrote Unterhose mit einem aufgedruckten Smiley im Genitalbereich. Ich tastete seine Füße ab. Sie waren weich. Entweder hatte der Mörder seine Schuhe gestohlen, oder jemand war später noch vorbei gekommen. Die Gerichtsmedizinerin trat neben mich.
»Ein paar Bedienstete des Nachtklubs haben noch sauber gemacht«, sagte sie. »Gegen fünf Uhr haben sie den Müll rausgebracht. Als sie um sieben Uhr abgeschlossen und den Klub durch den Hinterausgang verlassen haben, lag da plötzlich die Leiche. Sie haben mir auch erklärt, dass der Tote ein bekannter Stricher war. Darf ich die Leiche bewegen?«
Ich nickte, und sie machte sich schnell und gründlich an die Arbeit. Ich trug Carlos eine Liste von Erledigungen auf, und wir warteten auf den ersten oberflächlichen Befund der Gerichtsmedizinerin.
»Todesursache: schweres Hirntrauma durch mehrere heftige Schläge auf den Kopf. Der Täter wollte ohne jeden Zweifel sichergehen, dass das Opfer tot ist. Ich werde einen HIV-Test durchführen, das könnte ein mögliches Motiv sein. Ich habe einen kurzen Blick in sein Rektum geworfen. Er hatte gearbeitet. Mehr kann ich Ihnen erst sagen, wenn wir ihn im Labor untersucht haben.«
Ich ließ Carlos mit einem Notizblock und seiner düsteren Intelligenz allein zurück und ging zum Bahnhof Alcântara. Während ich auf den Zug wartete, rief ich noch einmal meinen Freund in der Zulassungsstelle an.
»Ist dein Computer immer noch
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