Tod in Lissabon
dem Fall arbeiten.«
»Ich dachte, wir unterhalten uns bloß.«
Er lehnte sich zurück, nippte an seinem Kaffee und nahm eine kleine Zigarre aus einer Schachtel. Er bot mir ebenfalls eine an, die ich dankend ablehnte, um mir eine von meinen Zigaretten anzuzünden. Er rauchte und entspannte sich wieder. Meine Frage brannte mir auf der Zunge.
»Sie wollten mir gerade erzählen, was meine Frau an jenem Abend zu Ihnen gesagt hat.«
»Sie hat Dinge gesagt, sehr wichtige Dinge, ohne sie zu erklären, und ich hatte einen langen Tag hinter mir und war sehr müde. Sie hat gesagt, Ihre Ehe hätte nie funktioniert, aber nicht, warum. Sie hat gesagt, Sie wären ein mächtiger Mann und würden diese Macht auch in Ihren intimen Beziehungen ausüben, aber sie hat nicht gesagt, wie. Sie hat schwere Anschuldigungen erhoben, ohne irgendwelche Beweise zu liefern. Es war kein …«
»… Gespräch mit einem voll zurechnungsfähigen Menschen«, beendete er den Satz für mich.
»Ich dachte, ich hätte zumindest Spuren der Wahrheit erkannt.«
»Welche schwere Anschuldigung hat sie erhoben?«
»Sie hat gesagt, dass Sie Catarina missbraucht hätten.«
»Glauben Sie das?«
»Sie hat keinerlei Beweise geliefert.«
»Aber Sie glauben ihr?«
»Ich bin von der Mordkommission, Senhor Doutor. Die Menschen lügen mich nicht nur gelegentlich, sondern im Grunde ständig an. Ich höre zu, ich vergleiche, ich bohre weiter, untersuche Indizien und suche Zeugen. Und wenn ich Glück habe, bekomme ich genug Fakten zusammen, um einen Fall zu konstruieren. Aber eines kann ich Ihnen versichern, Senhor Doutor, wenn mir jemand etwas erzählt, glaube ich es nicht automatisch. Andernfalls könnten wir all die Unschuldigen aus unseren Gefängnissen entlassen und sie in pousadas , Fremdenzimmern, unterbringen.«
»Was haben Sie zu ihr gesagt?«
Ich zuckte innerlich zusammen. Es war eine nagende Erinnerung, eine bohrende Verantwortung.
»Ich habe ihr geraten, mit größter Vorsicht vorzugehen … sich einen Anwalt zu besorgen und Beweise vorzulegen.«
Der Anwalt zog an seiner Zigarre, er hatte meinen Schwachpunkt erkannt.
»Ein kluger Rat«, sagte er. »Haben Sie ihr auch erklärt, dass Sie nicht der richtige Ansprechpartner sind und sie, falls sie …«
»Das habe ich.«
»Und was glauben Sie, warum sie zu Ihnen gekommen ist, Inspektor?«
Ich antwortete nicht.
»Meinen Sie, dass sie versucht hat, Sie zu beeinflussen … in Ihrer Haltung mir gegenüber zum Beispiel?«
Ich schwieg weiter, und der Anwalt beugte sich über den Tisch zu mir vor.
»Möglicherweise hat sie als Beweis die Promiskuität meiner Tochter angeführt, ihre komplette Ablehnung jeglicher Sexualmoral, hervorgerufen durch was …? Eine Verwirrung. Der Mann, auf dessen bedingungslose Liebe sie völlig vertraut hat, hat ihre Unschuld ausgenutzt … Ja, ich stelle mir vor, das würde funktionieren. Das würde als Trauma gelten, die Promiskuität als Neurose, habe ich Recht? War es das, was meine Frau gedacht hat?«
Die eiskalte Intelligenz des Mannes wirkte auf mich wie ein Piranhaschwarm, der eine Leiche in Sekundenschnelle bis auf das Skelett abnagte. Warum haben Sie sie geheiratet?, schoss es mir durch den Kopf. Warum hat sie Sie geheiratet? Warum sind Sie zusammengeblieben?
»So ist es«, sagte er und ließ sich wieder zurücksinken. »Ich weiß, dass ich Recht habe.«
Er drückte ärgerlich seine Zigarre aus, bis er sich beobachtet fühlte. Ich stand verwirrt auf, wütend, weil ich mir die Zügel aus der Hand hatte nehmen lassen. Als ich die Tür öffnete, um zu gehen, war meine Frage immer noch unbeantwortet, und ich fühlte mich nicht stark genug, sie zu stellen. Noch nicht.
»Es gibt zwei Formen der Kindesmisshandlung, Senhor Doutor«, sagte ich. »Meistens liest man vom sexuellen Missbrauch, weil das schockierender ist. Aber die andere Form kann genauso brutal sein.«
»Und die wäre?«
»Liebesentzug.«
Ich trat in den Flur, schloss die Tür hinter mir und öffnete sie dann noch einmal.
»Ich habe ganz vergessen zu fragen, Senhor Doutor: Haben Sie außer dem Morgan noch einen Wagen? Ich nehme an, der ist zu Ihrem persönlichen Vergnügen. Aber Sie haben doch bestimmt noch etwas Gediegeneres.«
»Einen Mercedes.«
»Ist das der Wagen, mit dem Ihre Frau am Sonntagabend unterwegs war?«
»Ja.«
Ich setzte mich in den Park vor dem Haus des Anwalts, wartete, dass Mariana, das Hausmädchen, herauskam, was sie um die Mittagszeit auch tat, und folgte ihr. Sie war
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