Tod in Lissabon
in Lissabon vergessen. Um die Mittagszeit fuhr sie zurück und überraschte Catarina mit einem Mann im Bett. Es gab einen Riesenstreit …«
»Damals muss Catarina vierzehn gewesen sein, Senhor Doutor. Was haben Sie davon gehalten?«
»Ich glaube, es ist das, was Jugendliche bei der ersten sich bietenden Gelegenheit tun. Aber für mich ist es anders. Ich hatte schon vier Kinder. Ich habe all das schon einmal durchgemacht. Ich habe Fehler begangen und versucht zu lernen. Ich bin verständnisvoller geworden … liberaler. Ich bin nicht wütend geworden. Wir haben geredet. Sie war sehr direkt, sehr offen, beinahe schamlos, wie die Jugendlichen heutzutage sind … Sie brüsten sich damit, kleine Erwachsene zu sein.«
Carlos saß seit zwei Minuten mit erhobener Kaffeetasse da und folgte dem Wortwechsel wie gebannt. Ich warf ihm einen Blick zu, und er duckte sich hinter seine Kaffeetasse.
»Sie sagten, Ihre Frau hätte Catarina mit einem ›Mann‹ im Bett überrascht. Das klingt, als wäre ihr Begleiter älter gewesen als einer der ›Jungen‹ aus der Band, zum Beispiel. War das der Fall?«
»Sie sind ein aufmerksamer Zuhörer, Inspektor Coelho.«
»Wie alt war er, Dr. Oliveira?«, fragte ich, ohne auf das Kompliment einzugehen.
»Zweiunddreißig.«
»Das ist ja sehr präzise. Hat Catarina Ihnen das gesagt?«
»Das brauchte sie nicht. Ich kannte den Mann. Es war der jüngere Bruder meiner Frau.«
Die Ormulu-Uhr hätte beinahe einen Schlag ausgesetzt.
»Hat Sie das nicht sehr wütend gemacht, Dr. Oliveira?«, fragte ich. »Man muss kein Anwalt sein, um zu wissen, dass Ihr Schwager das Gesetz gebrochen hat – das ist Kindesmissbrauch.«
»Ich werde ihn wohl kaum anzeigen, oder?«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Ich war nicht immer Anwalt, Inspektor Coelho. Bevor ich Anwalt wurde, war ich Steuerberater. Ich bin jetzt siebenundsechzig Jahre alt, und meine Frau ist siebenunddreißig. Sie war einundzwanzig, als ich sie geheiratet habe. Als sie vierzehn war …«
»Aber das war sie nicht, Senhor Doutor, als Sie sie kennen gelernt haben. Sie haben keine Minderjährige ausgenutzt.«
»Das ist richtig.«
»Hat Catarina Ihnen in dem Gespräch nach dem Zwischenfall möglicherweise einen Grund dafür genannt, so nachsichtig mit Ihrem Schwager zu sein?«, fragte ich, mit dem Satz ringend wie mit einer Riesenkrake.
»Wenn Sie damit meinen, ob sie keine Jungfrau mehr war, Inspektor Coelho, hätten Sie Recht. Sie wären möglicherweise auch schockiert zu erfahren, dass sie zugegeben hat, meinen Schwager verführt zu haben«, antwortete er, meine Syntax aufgreifend.
»Meinen Sie, dass sie die Wahrheit gesagt hat?«
»Glauben Sie nicht, dass die Jugendlichen denken wie wir mit vierzehn.«
»Kam in Ihrer Unterhaltung auch Drogenkonsum zur Sprache?«
»Sie hat zugegeben, Haschisch zu rauchen, was, wie Sie wissen, sehr verbreitet ist. Sonst nichts. Das würde sie auch nicht tun … das weiß ich.« Seine Stimme verlor sich. »Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, Inspektor Coelho, denken Sie, dass ich meine Tochter nach einem solchen Gespräch bis zu ihrem zwanzigsten Geburtstag in einen Turm hätte sperren sollen.«
Das dachte ich nicht. Ich dachte alles Mögliche, aber das nicht. Ich musste mein Gesicht unter Kontrolle kriegen.
»Vielleicht haben Sie eine fortschrittlichere Moralvorstellung als die meisten Portugiesen, Senhor Doutor.«
»Die Diktatur liegt fast eine Generation zurück, und Prohibition schafft nur eine kriminelle Gesellschaft. Ich nenne es nicht fortschrittlich … bloß das Ergebnis genauer Beobachtung.«
»Sie sagten, sie hätte bestritten, irgendetwas anderes als Haschisch zu nehmen …«
»Mein Sohn ist heroinsüchtig … war heroinsüchtig.«
»Kannte Catarina ihn?«
»Sie kennt ihn noch immer. Er lebt in Porto.«
»Ist er clean?«
»Das war nicht leicht.«
Ich dachte an seinen gebückten Mönchsgang. Bei den Lasten hätte er komplett vornübergebeugt gehen müssen.
»Sie praktizieren nach wie vor als Anwalt.«
»Selten. Ich bin noch als Berater für einige Firmen tätig und vertrete Freunde in Steuerverfahren.«
»Haben Sie am Freitagabend auch versucht, einen von Catarinas Lehrern zu erreichen?«
»Die Lehrerin, bei der sie am Freitagnachmittag Unterricht hatte, war nicht zu erreichen. Wegen des Feiertags … Santo António, Sie wissen …«
Unaufgefordert schrieb er ihren Namen und ihre Adresse auf.
»Ich würde gern ein paar Fotos von Ihrer Tochter mitnehmen, und ich
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