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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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setzen?«, fragte der Mann auf Französisch.
    »Ich warte auf jemanden«, erwiderte sie ebenfalls auf Französisch und blickte erneut aus dem Fenster.
    »Sonst ist kein Platz mehr frei, und ich möchte nur einen Kaffee trinken. Sie sitzen allein an einem Vierertisch.«
    »Ich erwarte noch jemanden.«
    »Tut mir Leid«, sagte er, »ich wollte nicht …«
    »Nein, nein, bitte«, sagte sie unvermittelt, und die Nerven ließen ihre Hände aufflattern wie die Tauben auf dem Platz draußen.
    Er nahm ihr gegenüber Platz und bot ihr eine Zigarette an. Sie lehnte ab, musste jedoch dabei ihre Hand festhalten. Er zündete sich selbst eine an und schien nicht nur den Geruch des brennenden Tabaks zu genießen. Der Kellner kam.
    »Ihr Kaffee sieht aus, als wäre er kalt geworden, darf ich …?«
    »Ich habe alles, was ich brauche, danke.«
    Er bestellte einen Kaffee für sich. Sie blickte wieder auf den Platz. Mit dem Kellner hatte er Portugiesisch gesprochen, nicht das Lissaboner Portugiesisch, sondern ein offeneres, das klang wie langsames Spanisch.
    »Davon kommt er auch nicht schneller«, sagte der Mann.
    Sie lächelte erleichtert, weil sie inzwischen einigermaßen sicher war, dass er sie nicht nach ihren Papieren fragen würde.
    »Warten kann ich nicht ertragen«, sagte sie.
    »Nehmen Sie eine Zigarette und einen heißen Kaffee, dann geht die Zeit schneller vorbei.«
    Sie nahm eine Zigarette. Er registrierte ihren nackten Ringfinger und das Zittern ihrer Hand. Sie zog an der Zigarette und hinterließ einen roten Abdruck auf dem weißen Papier. Sie blies den fremden, kräftigen Rauch aus.
    »Aus der Türkei«, sagte er.
    »Hier kann man alles kriegen, wenn man das nötige Geld hat«, sagte sie.
    »Keine Ahnung. Die habe ich mitgebracht. Es ist mein erster Tag in Lissabon.«
    »Woher kommen Sie?«
    »Aus Deutschland.«
    Darum hatte sein Anblick sie erschauern lassen.
    »Und wohin wollen Sie?«
    »Ich bleibe erst mal eine Weile hier und dann … wer weiß? Und Sie?«
    »Ich komme aus Holland. Und ich will nach Amerika.«
    Ihre blauen Augen huschten erneut über den Balkon, bevor sie den Raum im Rücken des Mannes absuchten. Sein Kaffee kam, er bestellte einen für sie, und der Kellner nahm die benutzte Tasse mit. Ihr Blick kehrte zu ihm zurück.
    »Er wird schon kommen«, sagte er und zwinkerte aufmunternd.
    Die vier Flüchtlinge am Nebentisch hatten angefangen, die Portugiesen herunterzumachen, und beklagten sich darüber, wie unzivilisiert und ungehobelt sie seien, dass alle Speisen gleich schmeckten. Und ob man schon versucht hätte, diesen bacalhau – Stockfisch – zu essen? Lissabon sei einfach nur langweilig.
    Sie hatte all das schon gehört und wandte den Kopf ab. Sie wusste, dass es gefährlich sein konnte, mit dem Mann zu reden, doch sie war der Ansicht, dass sie nach einem Vierteljahr in der Welt der Flüchtlinge von Lissabon ein gewisses Gespür für Menschen entwickelt hatte.
    »Ich kann die Ungewissheit nicht ertragen«, sagte sie.
    »Genau wie das Warten.«
    »Ja. Wenn ich weiß … wenn ich wüsste …« Ihre Stimme verlor sich. »Sie wissen noch nicht, wie das ist, Sie sind gerade erst angekommen.«
    »Wo wohnen Sie?«
    »In der Pensão Amsterdão in der Rua de São Paulo. Und Sie?«
    »Ich werde schon etwas finden.«
    »Alles ist voll.«
    »Sieht ganz so aus. Vielleicht fahre ich nach Estoril.«
    »Dort ist es teurer«, sagte sie kopfschüttelnd.
    Das schien ihn nicht weiter zu kümmern. Sie blickte erneut aus dem Fenster und sprang dann winkend auf, bevor sie sich zurück auf den Stuhl fallen ließ und die Augen schloss. Ihr Tischgenosse drehte sich um und sah einen rotblonden Mann Anfang zwanzig durch den Raum zu ihrem Tisch kommen. Als er den älteren Mann sah, zögerte er kurz, nahm dann einen Stuhl und schob ihn dicht neben den des Mädchens. Sie riss die Augen auf, und ihre Gesichtszüge fielen in sich zusammen. Er nahm ihre Hände, während sie auf das Tischtuch starrte, als würde sich dort ein Fleck aus ihrem eigenen Blut bilden. Er beugte sich an ihr Ohr und flüsterte etwas auf Englisch.
    »Ich habe getan, was ich konnte. Es ist einfach nicht möglich ohne … Die Frau in der Visaabteilung …« Er hielt inne, als der Kellner einen Kaffee vor ihr abstellte, und sah den Mann an, der aus dem Fenster blickte. »Dafür braucht man Geld. Viel Geld.«
    »Ich habe kein Geld, Edward. Weißt du, was die Tickets inzwischen kosten? Anfangs ist man für siebzig Dollar an Bord gekommen, mittlerweile sind es

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