Tod in Lissabon
hier traten sie schärfer und klarer hervor. Die Tische erstrahlten im gewohnt grellen Glanz der Habgier – eine starräugige, heftig schluckende Bedürftigkeit, in der Luft aber mischte sich der Zigarettenqualm mit einem so stechenden Aroma von Angst und Verzweiflung, dass es Felsen in der Kehle brannte wie Essig. Die Hoffnungen, die auf die klickende Elfenbeinkugel gesetzt waren, galten allem oder nichts. Jeder Jeton auf dem grünen Filz war entweder durch einen Geldschein aus dem nächsten Bündel oder den letzten Familienschmuck aus der Schatulle gedeckt. Vor Felsen stand eine winzige Portugiesin, die die Rosette der Ehrenlegion trug, Zigaretten mit fünfzehn Zentimeter langer Spitze rauchte und Handschuhe bis zu den Achselhöhlen trug. Sie spielte zum Spaß und schenkte einer jungen Frau neben ihr Zigaretten, die jene zu hastig rauchte, während sie sich gleichzeitig an die Tischkante presste, als könnte sie so den Lauf der Drehscheibe beeinflussen. Die junge Frau hatte einen einzigen Jeton im Wert des Mindesteinsatzes, der rote Rillen in ihre Hand gegraben hatte und schon mehrfach auf einem Feld auf dem grünen Filz gelandet und im letzten Augenblick wieder zurückgezogen worden war. So überlebte er fünf Runden, bis er schließlich auf der Nummer fünf liegen blieb, die in den letzten zehn Minuten zweimal aufgerufen worden war. Die Drehscheibe drehte sich, die Elfenbeinkugel kreiselte, und die weiße Hand schnellte vor.
»Madame«, sagte der Croupier streng, und die Hand wurde blitzschnell wieder zurückgezogen.
Die Kugel landete auf der Vierundzwanzig, und der Jeton wurde mit all den anderen zusammengeharkt. Die junge Frau ließ den Kopf sinken, die Portugiesin tätschelte ihren Rücken und schenkte ihr eine weitere Zigarette. Die Frau stand auf, drehte sich um und entdeckte Felsen, der sie beobachtet hatte. Sie lächelte.
»Herr Felsen, nicht wahr?«
»Genau, Fräulein van Lennep«, sagte er und gab ihr einen Stapel Jetons. »Würden Sie die bitte für mich auf Rot setzen?« Augenblicklich kehrte ein wenig Farbe in ihre blassen Wangen zurück, und sie errötete.
Die Kugel blieb auf Rot liegen. Er teilte die Jetons und gab ihr die Hälfte.
»Die sind für Sie. Wenn Sie spielen, spielen Sie fifty-fifty, aber denken Sie daran, dass es auf dem Rad auch eine Null gibt, die Ihre Gewinnchancen so oder so mindert, und deswegen …«
Sie hatte sich bereits wieder dem Tisch zugewandt, als sie begriff, dass der letzte Teil des Tipps vielleicht der wertvollste war.
»Und deswegen?«
»Und deswegen sollten Sie nie spielen, wenn es darauf ankommt, sondern immer nur zum Spaß.«
Die Portugiesin, die im Stehen so groß war wie die junge Frau im Sitzen, nickte zustimmend. Laura van Lennep verstaute die Jetons in ihrer Handtasche. Felsen bot ihr seinen Arm an. Sie gingen an die Bar und tranken einen Whisky, den sie mit Soda verdünnte. Anschließend tanzten sie auf der beleuchteten Tanzfläche, bis Felsen mit einem von Madame Branescus Begleitern zusammenstieß, der sie durch den Raum hievte, als wäre sie ein gusseiserner Herd. Sie nickten einander zu, und Felsen verließ zusammen mit seiner Partnerin die Tanzfläche.
»Sie haben mir gar nicht erzählt, warum Sie in Lissabon sind, Herr Felsen.«
»Was ist mit Ihrem Freund passiert? Edward, nicht wahr? Edward Burton.«
»Er musste in den Norden. Er ist einer dieser Anglo-Portugiesen aus der Gegend von Porto. Die Alliierten benutzen sie häufig als Unterhändler für den Ankauf von Waren, weil sie die Leute verstehen. Er hat mir erzählt, dass das Ganze sehr wichtig sei, aber ich denke, vielleicht hat er auch nur ein bisschen angegeben«, sagte sie und würdigte ihn so zu Gunsten näher liegender Zwecke herab.
»Warum haben Sie ihn dann gebeten, Ihnen zu helfen?«
»Er ist jung, sieht gut aus und hat Beziehungen …«
»Aber nicht zu der Dame in der amerikanischen Visaabteilung.«
»Er hat es versucht. Sie hat sie gern jung und attraktiv.«
»Aber wohlhabend.«
Sie nickte betrübt und blickte wieder zu den Spielsälen. Die Band erlöste Madame Branescu von ihrem Tanzpartner, und als sie an Felsen vorbeikam, verdrehte sie die Augen in seine Richtung.
»Wer war denn das?«, fragte Laura van Lennep.
»Madame Branescu«, sagte Felsen. »Sie leitet die Visaabteilung des amerikanischen Konsulats.«
Etwas wie Liebe leuchtete in ihrem Gesicht auf.
Eine Stunde später öffnete Felsen seinen perlenbesetzten Kragenknopf und legte den Kragen ab. Er deponierte
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