Tod in Lissabon
fragte ihn, ob er Gesellschaft wünsche. Sie sah knabenhaft aus, hatte keine Hüften und einen verhungerten Hintern. Er schüttelte wortlos den Kopf, und das Mädchen zuckte ihre knochigen Schultern.
Als Felsen seine Zigaretten aus der Tasche nahm, glitt ihm das silberne Etui aus der Hand. Er tastete über den Boden und stieß auf eine andere Hand. Als er wieder auftauchte, saß Eva ihm gegenüber und steckte sich eine seiner Zigaretten in den Mund. Sie gab sich und Felsen Feuer und wischte das Etui an ihrem Kleid blank.
»Ich dachte mir, dass du es bist«, sagte sie. »In Uniform erkenne ich dich immer noch nicht. Soll ich mich ein bisschen zu dir setzen?«
Sie schwang ihre Beine unter den Tisch, und ihre Knie berührten seine. Es gab einen Funken des Wiedererkennens, ein Pulsschlag, der eine vergangene Zeit heraufbeschwor, in der zwei Menschen etwas voneinander gewusst hatten.
»Was ist mit dir geschehen?«, fragte sie, gab ihm sein Etui zurück und berührte seine Hand und die vertrauten Härchen, hart wie Schweineborsten. »Du hast deine Berliner Blässe verloren.«
»Die Blasse warst schon immer du«, erwiderte er.
»In letzter Zeit bin ich fast durchsichtig geworden«, sagte sie. »Die Rationierungen und die Angst.«
»Du siehst nicht so aus, als hättest du Angst,«
»Ich habe heute Abend nur ein volles Haus wegen der dichten Wolkendecke. An manchen Abenden bin ich mit den Mädchen allein … Und unsere Freunde von der anderen Seite des Teiches werfen Weihnachtsgänse ab.«
»Die Mädchen sehen dürrer aus«, sagte Felsen, ohne Evas astdünnen Arm zu bemerken.
»Ich auch«, sagte sie und zeigte ihm ihren sehnigen Arm.
Er spielte mit seinem Glas und rauchte, bis die Glut seiner Zigarette ein perfekter Kegel war. Wie sollte er anfangen? Nach neun Monaten fernab von Berlin hatte er die lässige Nonchalance verloren, die ausgehärtete Glasur aus Witz und Zynismus, mit der die Berliner sich in diesen Tagen durchs Leben schlugen.
»Ich habe dich in Bern gesehen«, sagte er zu dem Aschenbecher.
Sie runzelte ihre Stirn, und ihre Wangen wurden hohl, als sie an ihrer Zigarette zog.
»Ich bin noch nie in Bern gewesen«, sagte sie. »Du musst dich …«
»Ich habe dich in einem Nachtklub in Bern gesehen … im Februar.«
»Aber Klaus, ich war in meinem ganzen Leben noch nicht einmal in der Schweiz.«
»Ich habe dich mit ihm gesehen.«
Er saß vollkommen reglos da und sah sie mit der Intensität eines hungrigen Bergwolfes an. Sie hielt seinem Blick stand, um ihren Kopf kräuselte sich im Gegenlicht der Rauch ihrer Zigarette. Sie blieb bei der Lüge.
»Du hast dich verändert«, sagte sie und nippte an seinem Cognacglas.
»Ich habe viel Zeit an der frischen Luft verbracht.«
»Wir haben uns alle verändert«, sagte sie und löste ihr Knie von seinem. »Es hat eine allgemeine menschliche Verhärtung gegeben.«
»Am Ende tun wir alle Dinge, die wir nicht unbedingt tun wollen«, sagte er. »Aber es ist nicht so, als ob man keine Möglichkeiten hätte.«
»Man hat nur nicht immer eine Wahl.«
»Ja«, sagte er, und der heiße Gestank einer Erinnerung an einen stickigen Julinachmittag wehte ihn an, an dem irgendetwas schief gelaufen war.
»Was ist mit dir geschehen , Klaus?«, fragte sie, und ihre eigenwillige Betonung ließ ihn zusammenzucken, als hätte sein Gesicht etwas offenbart, das besser verborgen geblieben wäre.
»Manche Dinge lassen sich nicht so einfach erklären.«
»Wie wahr«, erwiderte sie.
Das Mädchen, das schon einmal an seinen Tisch gekommen war, tauchte neben Eva auf.
»Keiner will, dass ich mich zu ihm setze«, sagte sie.
»Setz dich zu Klaus«, sagte Eva. »Er möchte, dass du dich zu ihm setzt.«
Sie sahen ihn an. Er nickte ins Leere. Das Mädchen schmiegte sich glücklich an ihn. Eva beugte sich vor und drückte ihre Wange an seine.
»Es war nett«, sagte sie, »ein bisschen zu plaudern.«
Sie hinterließ keinen Duft, nur das Gefühl ihres warmen Atems.
»Ich heiße Traudl«, sagte das Mädchen.
»Wir haben uns schon getroffen«, sagte er und drehte den Cognacschwenker auf seinem Bierdeckel, bevor er ihn dort an die Lippen führte, wo eben noch Evas gewesen waren. Sie trug noch immer denselben Lippenstift.
Er nahm Traudl mit in seine Wohnung, und sie plapperte für beide. Er hängte seinen Mantel auf, goss sich einen Drink ein und stellte fest, dass sie verschwunden war. Er war erleichtert, bis er sie aus dem Schlafzimmer rufen hörte. Er sagte ihr, sie solle zurück
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