Tod in Lissabon
strich sich mit Daumen und Zeigefinger über den dünnen Schnauzer und sah sehr zufrieden aus.
»Er wird uns bei der Untersuchung des Mordes an einem jungen Mädchen behilflich sein.«
»Mord?«, fragte sie und wollte ihren Sohn umarmen, als wäre er bereits verurteilt.
»Fahren wir«, sagte Valentim und wandte sich ab.
Als wir in der größten Mittagshitze zurück in die Stadt fuhren, stützte er seinen Ellbogen auf den Fensterrahmen und trommelte mit den Fingern ein Solo auf das Wagendach.
»Wo ist dein Vater?«, fragte ich.
»Er ist schon vor Jahren abgehauen. Ich kann mich nicht mehr an ihn erinnern.«
»Wie alt warst du?«
»Zu klein, um mich zu erinnern.«
»Du musst dich ganz gut geschlagen haben, wenn du jetzt auf die Uni gehst.«
»Wenn ich mir die chatos in meinen Seminaren angucke, bin ich mir nicht sicher.«
»Magst du deine Mutter?«
»Sie ist eben meine Mutter.«
»Wie alt ist sie?«
»Was glauben Sie?«
»Ich weiß nicht. Es ist schwer zu sagen …«
»Bei all dem Make-up?«
»Der Typ, mit dem sie zusammen ist, sieht jung aus.«
»Sie ist siebenunddreißig, okay?«
»Aber magst du sie?«
Er hörte auf, aufs Dach zu trommeln.
»Wo hat man Sie denn aufgelesen?«, fragte er. »Mit gebrochenen Flügeln auf der Autobahn?«
»Du wirst sehen, ich bin einer der wenigen Menschen aus meiner Welt, die ein Interesse für ihre Mitmenschen aufbringen … was nicht heißt, dass ich die ganze Zeit nett bin. Und jetzt sag mir, was du von deiner Mutter hältst.«
»Das ist Scheiße«, sagte er, jedes Wort betonend.
»Du studierst doch Psychologie.«
Er seufzte, bis in die Haarspitzen gelangweilt. »Ich glaube, meine Mutter ist ein schöner Mensch mit einer ausgeprägten Moral und ethischen Zielen, der sich aufopferungsvoll …«
»Danke, Frage beantwortet«, sagte ich. »Und … hast du zurzeit eine feste Freundin?«
»Nein.«
»Du hattest aber schon Freundinnen?«
»Hin und wieder. Vorübergehend.«
»Was fandest du an diesen Mädchen attraktiv?«
»Schreiben Sie in Ihrer Freizeit für die Cosmopolitan ?«
»Du hast die Wahl: das oder einen Ellbogen im Gesicht.«
»Die Mädchen sind immer zu mir gekommen.«
»Deine geradezu magnetische Anziehungskraft.«
»Ich habe lediglich eine Tatsache festgestellt. Ich bin ihnen nicht nachgelaufen. Sie sind zu mir gekommen.«
»Was für Mädchen?«
»Mittelklasse-Mädchen aus wohlhabenden Familien, die anders sein wollten, cool, die es mal mit einem Typen versuchen wollten, der kein verklemmtes Arschloch mit einem Handy ist, das nie klingelt.«
»Aber du warst zu stark für sie. Zu satt. Nein, falsches Wort. Zu ungezähmt.«
»Das sind keine echten Menschen, Inspektor. Das sind bloß Kids, die sich verkleiden.«
»Und Catarina … war sie auch so?«
Er nickte und grinste wissend.
»Sie vergessen etwas«, sagte er. »Catarina war nie meine Freundin.«
»Aber interessant war es doch«, sagte ich, »denn du hast sie entdeckt.«
»Sie entdeckt?«
»Ihre Stimme. Du hast sie in die Band gebracht. Du bist ihr nachgelaufen. Sie ist nicht zu dir gekommen.«
»Das heißt doch nicht, dass sie …«
»Aber es war anders, oder?«
Er fing wieder an, aufs Dach zu trommeln.
Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit dem Polizisten am Empfang des Policia-Judiciária-Gebäudes, der mich gut kannte, mir aber nicht glaubte, wer ich war, bis ich ihm den Ausweis mit einem Foto meines bärtigen Selbst zeigte. War das der Beginn einer guten, altmodischen Identitätskrise?
Ich ließ Valentim beim Empfang und ging nach oben, wo Carlos und Bruno schweigend in meinem Büro saßen. Ich las Brunos Aussage durch und legte sie ihm zum Unterschreiben hin.
»War Valentim am Freitag nach der Schule mit Catarina verabredet?«
»Freitags fuhr sie immer nach Cascais.«
»Hast du Valentim am Freitagabend gesehen?«
»Ja. Wir haben uns gegen zehn in Alcântara getroffen.«
»Was hat er zwischen zwei und zehn Uhr gemacht?«
»Ich weiß es nicht.«
»War er erregt, als du ihn getroffen hast?«
»Nein.«
»Teresa behauptet, Catarina hätte mit häufig wechselnden Sexualpartnern von der Uni verkehrt. Stimmt das?«
»Nicht, wenn Teresa es gesagt hat. Das würde ich nicht für verlässlich halten.«
»Sie behauptet, sie hätte Catarina am Mittwochabend nach der Trennung der Band mit ihrem Chemiedozenten gesehen.«
»Keine Ahnung.«
»Wohin bist du nach dem Treffen der Band gegangen?«
»Nach Hause. Ich habe bis spät an einem Referat gearbeitet, das ich am
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