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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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ihre Schulter.
    Ich kann gehen, sagte die Alte unwirsch. Aber sie schüttelte den Arm nicht ab und lehnte sich nach ein paar Schritten sogar gegen Bellas Hüfte.
    Es ist nicht weit, sagte Bella, als ich Sie fand, war ich auf dem Weg in mein Hotel.
    Manchmal liegt das Glück auf der Straße, murmelte Nini. Bella zog es vor, zu schweigen. Während sie langsam weitergingen, überlegte sie, wessen Glück die alte Frau gemeint haben könnte. Hatte die Alte vielleicht sie gemeint?
    Im Hotel war niemand an der Rezeption. Bellas kleines Appartement lag im zweiten Stock, und Nini schaffte die Treppe leicht. Warum auch nicht, dachte Bella. Sie hat ja kein Gewicht zu tragen, und Gin scheint sie zu beflügeln.
    Beim Aufschließen der Tür empfand sie für einen kurzen Augenblick fast so etwas wie Widerwillen, die Frau bei sich zu haben. Dahin ihre Ungestörtheit, der stille Abend, das Lesen, der schlampige Bademantel. Wahrscheinlich würde sie auch auf die Angewohnheit verzichten müssen, nachts ein Bad zu nehmen. Eines war klar: Diese Nini musste so bald wie möglich wieder verschwinden. Aber zuerst wollte sie sich ihre Geschichte anhören. Danach würde sie sicher viel besser wissen, was als Nächstes zu geschehen hätte.
    Sie nehmen ein Bad, sagte Bella. Ich besorg uns inzwischen eine Kleinigkeit zu essen. Geben Sie mir den Schal.
    Nini verschwand im Badezimmer und reichte nach kurzer Zeit den Schal durch den Türspalt. Bella sah einen erbarmungswürdig dürren Arm, bevor die Tür wieder geschlossen wurde. Dann telefonierte sie mit der Concierge und bat um ein paar Sandwiches und zwei Bier.
    Bier ist gut, dachte sie, das macht müde.
    Als Nini aus dem Bad kam, eingewickelt in ein großes Handtuch und ein kleineres um den Kopf geschlungen, standen Essen und Trinken schon auf dem Tisch.
    Maria-Carmen, sagte Nini, am besten, ich erzähle Ihnen alles von Anfang an.
    Während Bella zuhörte, entstand vor ihr das Bild einer hübschen, jungen Spanierin, die mit allen Wassern gewaschen war und konsequent ihr Ziel verfolgte: ein unabhängiges Leben. Diesem Mädchen war es offensichtlich egal, woher das Geld kam, das sie für ein solches Leben brauchte. Und Freunde, die nicht in ihr Konzept passten, schob sie einfach beiseite.
    Ein schönes Früchtchen, sagte Bella, als Nini ihre Geschichte beendet hatte. Nini war empört.
    Sie kennen das Mädchen nicht. Ich habe die Familie gekannt. Sie musste da einfach raus. Dass dieser Kerl auf unserer Insel erschossen wurde, war ein Zufall, den die Kleine genutzt hat. Das war ihre Chance. Sie hatte ja nicht nur sein Geld gefunden, sondern auch eine Adresse in Marseille. Und nun läuft sie in ihr Verderben.
    Eine Adresse in Marseille?
    Ja, sagte Nini, es sind ein paar Zeitungsausschnitte bei seinen Sachen gewesen. Ich könnte mich heute noch ohrfeigen, dass ich sie ihr übersetzt habe. Da war von einem Bordell die Rede, Mama Rose hieß die Besitzerin, mit Foto und Adresse. Da will sie hin. Ich bin sicher. Aber sie weiß doch nichts vom Leben. Sie hat doch überhaupt keine Ahnung, worauf sie sich einlässt.
    Da haben Sie wahrscheinlich recht, sagte Bella.
    Sie sah Nini zu, die das Bier in kleinen Schlucken trank und dabei das Gesicht verzog, als wäre es ungenießbar.
    Bier, sagte Nini, als sie Bellas Blick bemerkte, wissen Sie, wann ich das letzt Mal Bier getrunken habe? Das war 1948, als mein Matrose mich mitgenommen hat auf das Schiff nach Gomera. Wir fuhren mit einem Fischerboot von der spanischen Küste aus. Richtigen Fährbetrieb gab es damals noch nicht. Den hat später erst der alte Olsen aufgebaut, die Verbindung zwischen Teneriffa und Gomera. Jahrelang fuhren da nur seine Schiffe. Er war der König. Bei den Inselbewohnern gab es das Gerücht, dass sie sich nur durch Pfeifen verständigten, und manche Leute in Spanien hielten sie für heimliche Kannibalen. Mein Matrose nicht. Er kam von dort. Der wollte nicht, dass ich Bier trinke. Eine Lady trinkt kein Bier, hat er gesagt. Und als ich ihn gefragt hab, was eine Lady dann trinkt, hat er mich angesehen und gesagt: Ja, das kannst du nicht wissen. In deiner Tabakfabrik haben sie dir eben das Biertrinken beigebracht, aber bei uns gibt es Gin. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie billigder Gin damals gewesen ist. Es gab keine Touristen auf der Insel, nur Eingeborene, die mich am Anfang ziemlich finster betrachtet haben. Besonders die Frauen. Die hatten überhaupt keinen Chic. Das musste ich erst ändern. Hätte ich wahrscheinlich nicht

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