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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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des Parador gesessen und sie angesehen hatte. Sie schilderte ihn in den lebhaftesten Farben. Streng und geheimnisvoll habe er ausgesehen, aber mit harten, wachen Augen. Sehr gut angezogen sei er gewesen. Sie habe ihn sofort gemocht, obwohl er sieam Anfang gar nicht besonders beachtet hätte, nur hin und wieder angesehen mit seinen harten, wachen Augen. Sie malte den Mann für Mama Rose in den wunderbarsten Farben. Die tat, als schliefe sie, aber sobald Maria-Carmen aufhörte zu sprechen, blinzelte sie und stellte Fragen.
    Was hast du gesagt? Was hat er getragen? Einen weißen Anzug?
    Nein, nicht weiß. Ein wenig dunkler und ein bisschen zerknittert, Leinen, nicht ganz weiß.
    Und keinen Hut?
    Hätte ich mich denn in seine Haare verlieben können, wenn er einen Hut getragen hätte?
    Mama Rose schloss die Augen wieder und lächelte, während Maria-Carmen ihre Erzählung fortsetzte. Das hatte sie sich inzwischen angewöhnt: zu reden und zu reden und zu reden und die ganze Zeit an etwas ganz anderes zu denken.
    Zum Beispiel daran, wie es gewesen war, nachdem sie in Marseille angekommen waren. Sie hatte die Nacht abgewartet. Nini hatte getrunken, wie immer, und war eingeschlafen. Sie hatte ihre Tasche gepackt, der Alten etwas Geld auf den Tisch gelegt und war nach unten gegangen. Schon am ersten Treppenabsatz war sie an einem Fenster stehen geblieben und hatte auf die Stadt und den Alten Hafen gesehen. Hier, sie wusste es genau, würde von jetzt an ihr Zuhause sein.
    An der Rezeption hatte sie das Zimmer bezahlt, noch für zwei Tage im Voraus, dann würde auch ihre Großmutter das Hotel verlassen.
    Ein Taxi, hatte sie gesagt, ein Taxi in die Rue … und dann war ihr der Name der Straße nicht eingefallen, und sie hatte später dem Taxifahrer den Artikel gezeigt.
    Der Teppich im Hotel war weich gewesen, rot mit gelben Lilien. Es ging sich gut darauf. Der Taxifahrer war schweigsam. Sie hatte sich so gesetzt, dass sie die Uhr sehen konnte, und ihm ein wenig mehr Geld gegeben, als auf dem Taxameter stand. Siehatte gewusst, dass sie im Begriff war, einen entscheidenden Schritt zu tun. Wenn ihr Plan schiefginge, würde sie sich etwas anderes einfallen lassen müssen, und sie wusste nicht, was das sein könnte.
    Dass Mama Rose eine Schwarze war, hatte in einem der Artikel aus dem Zimmer des Fremden gestanden. In welchem Zusammenhang? Das hatte sie vergessen. Sie wusste eigentlich nichts über diese Frau. Würde sie freundlich sein? Würde sie ihr zuhören? Würde die Erwähnung des Fremden ihr überhaupt die Tür zu Mama Rose öffnen?
    Als sie vor dem Haus gestanden hatte, war sie nicht gleich hineingegangen. Sie hatte das Bistro gegenüber entdeckt, in dem ein einzelner Afrikaner hinter dem Tresen stand und sie gleichgültig musterte.
    Das da drüben, hatte er gesagt, ist nichts für Mädchen.
    Ich trinke ein Bier, hatte sie geantwortet.
    Der Afrikaner war an ihrem Tisch stehen geblieben, als er das Bier brachte. Zwei Männer waren hereingekommen. Er hatte sich nach ihnen umgesehen, war wieder hinter den Tresen gegangen und hatte zwei Namen genannt. Die beiden waren wieder gegangen, aber nur über die Straße. Sie waren in dem Haus verschwunden. Der Afrikaner war wieder an ihren Tisch gekommen. So geht das also, hatte sie gedacht.
    Nichts für weiße Mädchen, hatte er gesagt.
    Auch nicht, wenn sie von René kommen?, hatte sie geantwortet und nicht gewusst, weshalb sie in diesem Bistro und vor diesem Schwarzen ihren einzigen Trumpf ausspielte.
    Du?
    In der Stimme des Schwarzen hatte so viel Verwunderung und auch Zurückweisung gelegen, dass sie darauf verzichtet hatte, zu antworten. War eben ein Versuch gewesen. Sie hatte dem Mann zugesehen, der hinter den Tresen gegangen und dort stumm stehen geblieben war.
    Verdammte Scheiße, was sollte sie jetzt tun?
    Irgendwann hatte der Mann gesagt: Du kannst hier sitzen bleiben.
    Mindestens zehn, fünfzehn Männer hatte er inzwischen angemeldet. Nur wenige hatten das Haus wieder verlassen. Einer war noch einmal in das Bistro gekommen, hatte einen Schein über den Tresen geschoben und war wieder gegangen. Der Afrikaner hatte sich nicht bedankt. Sie war dann eingeschlafen, den Kopf auf dem schmierigen Bistrotisch, ihre Tasche auf dem Boden zwischen ihren Füßen. Als sie wach geworden war, musste der Himmel über der Straße wohl heller geworden sein. Sie hatte ihn von ihrem Tisch aus nicht sehen können, aber das Licht draußen war anders gewesen als in der Nacht, ein dämmriges Grau,

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