Tod in Marseille
aus dem Fenster. Ich glaube, das Auto ist da. Könnte ich nicht doch …
Nein, sagte Bella. Sie warten hier auf mich. Legen Sie sich hin. Ich wecke Sie, wenn Sie eingeschlafen sind. Versprochen.
Sie führte Nini zum Bett, aber die wandte sich ab und stellte sich ans Fenster.
Ich werde Ihnen nachsehen, sagte sie. Das werde ich doch noch dürfen. Dann leg ich mich hin. Viel Glück. Gehen Sie jetzt, sonst fahren die ohne Sie weiter.
Vor dem Hotel stand das Auto, ein Privatwagen, jedenfalls nicht als Polizeifahrzeug zu erkennen. Der Fahrer hielt ihr von innen die Tür auf und fuhr an, sobald sie sich neben ihn gesetzt hatte.
Er sprach nicht und konzentrierte sich aufs Fahren, was sicher vernünftig war, denn er fuhr nicht, er raste durch das nächtliche Marseille. Sehr schnell hatte Bella die Orientierung verloren. Sie versuchte, sich entspannt zurückzulehnen. Bald würde diese Sache ein Ende haben. Bald.
Keine Minute hatte Nini daran gedacht, während der Suche nach Maria-Carmen im Bett zu bleiben. Sie hatte dafür gebetet,dass dieser Grimaud nicht selbst anrufen würde und dass sie allein wäre, wenn der Anruf käme. Ihr Gebet war erhört worden. Während Bella vor dem Hotel auf und ab gegangen war, hatte Nini von dem Polizisten am Telefon den Einsatzort und das Fahrziel des Wagens, der Bella abholen sollte, erfahren. Das war nicht einmal besonders schwer gewesen, denn der Mann wusste ja nicht, dass ihr der Ort verborgen bleiben sollte.
Als Bella abgefahren war, trat Nini vom Fenster zurück, zog ihre Schuhe an, wickelte sich in ihren Schal, nahm ihre Geldbörse und verließ das Zimmer. Sie ließ sich an der Rezeption ein Taxi rufen und war wenige Minuten später zu der Straße unterwegs, in der Mama Roses Bordell lag.
Schon als der Taxifahrer unten in die Straße einbog, war zu sehen, dass in zweihundert Meter Entfernung eine Straßensperre aufgebaut worden war.
Da kommen wir nicht durch, Madame, sagte der Taxifahrer.
Macht nichts. Halten Sie einfach hier. Ich geh den Rest zu Fuß, antwortete Nini.
Ihre Stimme klang fröhlich und ein wenig aufgeregt. Sie war beinahe am Ziel.
Julien Grimaud hatte sich nicht lumpen lassen. Mehrere Einsatzfahrzeuge erhellten die Straße mit flackerndem Licht. Neben den Autos standen uniformierte Männer, einige schienen einer Spezialtruppe anzugehören, die für den Eingriff bei besonders gefährlichen Situationen ausgebildet worden war.
Weshalb treibt er so einen Aufwand?, dachte Bella. Wem will er imponieren? Um ein Mädchen aus dem Bordell zu holen, ist das doch bestimmt nicht nötig.
Hätte sie gewusst, dass Grimaud seinen Einsatz sogar vorher angekündigt hatte, wäre sie sicher noch mehr verwundert gewesen.
Weil aber Mama Rose informiert war, konnte Grimaud auf den Kontakt mit dem Afrikaner in dem Bistro gegenüber verzichten. Auch deshalb entdeckte er später Nini nicht, die sehr bald nach ihm am Einsatzort angekommen war und sich hinter den Polizisten vorbei einen Weg in das Bistro gebahnt hatte. Dort saß sie neben einem Stapel Bierkästen und beobachtete die Vorgänge auf der Straße.
Bella kam gar nicht auf den Gedanken, dass Nini in der Nähe sein könnte. Nachdem Grimaud sie aufgefordert hatte, hinter ihm das Treppenhaus zu betreten, hielt sie sich möglichst eng in seiner Nähe. Dass die Haustür wie von selbst aufgegangen war, wunderte sie kaum. Im Treppenhaus war es still, bis auf die schweren Tritte der sechs Polizisten, die ihnen folgten und die das Geräusch ihrer eigenen Schritte überdeckten. Keine Namen an den Wohnungstüren. Ein gepflegtes Treppenhaus. Dann, im dritten Stock, eine Tür, halb geöffnet, dahinter Lachen und Musik. Grimaud hielt an, sah sich nach Bella und den Männern um, die ihm gefolgt waren, und legte die Hand an die Lippen. Er bedeutete ihnen, sich absolut still zu verhalten. Bella sah ihm zu und dachte: Der spielt Theater. Wetten, dass hier keine Maria-Carmen mehr zu finden ist? Wenn sie sich überhaupt jemals in diesem Haus aufgehalten hat …
Grimaud trat gegen die offene Tür, die zurückflog und gegen die Wand schlug. Er ging hinein, gefolgt von Bella und zwei Polizisten. Die vier anderen postierten sich auf dem Treppenabsatz.
Die Räume in der Wohnung unterschieden sich kaum von denen ähnlicher Etablissements, die sie bisher kennengelernt hatte. Es gab einen langen Flur, Türen, die geschlossen waren und die von den beiden Männern hinter ihnen aufgetreten wurden. Es gab kreischende Mädchen, strampelnde Freier, einen
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