Tod in Marseille
Etablissement?
Nini hatte sich offensichtlich doch noch nicht damit abgefunden, von der bevorstehenden Suche ausgeschlossen zu sein.
Sie werden Ihre junge Freundin wiedersehen. Dabei wollen wir es belassen, sagte Grimaud. Ich darf mich jetzt verabschieden.
Er ging und ließ die beiden Frauen ein wenig verwirrt zurück. Bella verstand nicht, weshalb Grimaud ihnen die »Razzia« so schnell angeboten hatte. Wie hätte sie an seiner Stelle reagiert? Zwei Frauen, die eine alt und möglicherweise nicht mehr ganz zurechnungsfähig, die andere Touristin und ehemals Polizistin. Hatte er befürchtet, dass sie nicht aufgeben, sich ohne ihn auf die Suche machen und das Mädchen finden würden? Gefiel es ihm nicht, Fremde herumschnüffeln und vielleicht Dinge entdecken zu lassen, die sie nichts angingen? Aber er selbst hatte vorgeschlagen, sie mitzunehmen. Natürlich, nichts war einfacher für ihn, als diese angebliche Razzia so vorzubereiten, dass nichts dabei herauskommen würde, was ihn und seine Marseiller Polizei kompromittieren konnte.
Ich bin müde, sagte Nini. Ich möchte ins Hotel.
An diesem und auch am nächsten Abend warteten sie vergeblich auf einen Anruf von Grimaud. Nini war schließlich sogar zu erschöpft, um ihren abendlichen Gin zu trinken. Bella wagte kaum, sie allein zu lassen. Sie sorgte dafür, dass die alte Frau genügend zu essen bekam. Sie aß zwar winzige Portionen, aber Bella zwang sie, mehrmals am Tag zu essen. Zwischendurch gestand sie sich ein, dass sie es satthatte, Kindermädchen für eine Frau zu spielen, die ihr fremd war, und dass sie froh sein würde, wenn der Anruf von Grimaud endlich käme. Man würde diese Maria-Carmen finden, und sobald sie Nini und deren Schützling in ein Flugzeug nach Teneriffa verfrachtet hätte, wäre sie wieder frei. Ein Ausflug in die Calanques war, was sie dringend brauchte. Abstand von Marseille und darüber nachdenken, ob sie die Reise abbrechen oder noch bleiben sollte. Vielleicht wäre es eine Lösung, Kranz anzurufen und ihn zu bitten, sie inMarseille zu besuchen. Nein, dann konnte sie sich auch gleich eingestehen, dass ihr Vorhaben, auf den Spuren von Seghers & Co. zu wandeln, an den ganz normalen Widrigkeiten des Lebens von heute gescheitert war.
Trotzdem: Nini ging ihr auf die Nerven. Sie hätte ihr gern das Provence-Lesebuch in die Hand gedrückt, in der Hoffnung, dass die Passagen über diese Stadt hier sie interessieren und eine Weile ablenken würden. Aber natürlich konnte Nini nicht Deutsch lesen, und der Versuch, ihr von den Erfahrungen der Menschen aus dem Buch zu erzählen, scheiterte kläglich.
Ich bin nicht gebildet genug, um mit diesen Sachen etwas anfangen zu können, maulte Nini. Was sind das für Leute? Was habe ich mit denen zu tun? So unterbrach Nini sie jedes Mal nach einer Weile ungeduldig.
Schließlich blieb Bella nichts anderes übrig, als hinunterzugehen und ein paar Modezeitungen zu kaufen, um Nini zu beschäftigen. Das Blättern darin schien ihr Spaß zumachen. Sie gab sogar hin und wieder Kommentare ab, die Bella mäßig belustigten.
Alles schon da gewesen! Hab ich schon vor fünfzig Jahren entworfen! Das soll ein Kleid sein? Wenn ich solche Beine hätte, würde ich im Bett bleiben!
Zwischendurch schlief sie ein, und die Zeitschriften rutschten auf den Boden, von dem Bella sie aufhob und auf den Tisch legte.
Wo sind meine Zeitungen?, zeterte Nini dann jedes Mal, wenn sie aufwachte und wild um sich sah. Als wäre ihr jemand auf den Fersen, der ihr die verdammten Zeitschriften wegnehmen wollte.
Ich geh nach draußen, ich brauche einen kleinen Spaziergang, sagte Bella.
Der dritte Abend war angebrochen. Sie hatten nichts von Grimaud gehört und ihre Geduld war erschöpft. Es lag Streit inder Luft, zu dem sie absolut keine Lust hatte. Noch ein sinnlos vertaner Tag. Sie war entschlossen, Nini auch ohne Maria-Carmen in ein Flugzeug nach Teneriffa zu setzen. Über dem Vorplatz des Bahnhofs St. Charles hing ein riesiger Vollmond. Er bescherte ihr einen wunderbaren Blick auf die Stadt.
Als sie zurückkam, stand Nini aufgeregt mitten im Zimmer.
Endlich! Wo bleiben Sie denn? Dieser Mensch hat anrufen lassen. Sie werden gleich abgeholt. Sie ist achtzehn und hat lange, dunkle Haare. Ein hübsches Mädchen, nur halsstarrig. Bestellen Sie ihr, dass ich auf sie warte. Ich werde mit ihr zurückfahren. Sie muss keine Angst vor der Rückkehr haben. Ich kann alles regeln. Sie wird ihre Arbeit wiederbekommen, ganz bestimmt. Da, sehen Sie
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