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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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waren sechs Männer, die um Ninis Körper herumstanden und darauf warteten, dass sie aufstünde.
    Brauchst du Hilfe, oder was?, fragte der Betrunkene, der sie gestoßen hatte. Seine Stimme war leiser geworden, kleinlaut. Fass sie doch mal einer an, setzte er hinzu, als die anderen sich nicht rührten, nur noch auf die kleine Frau starrten, die zwischen ihnen lag. Endlich trat einer, ein kleiner, sehr junger Mann, vor, beugte sich über die am Boden Liegende und versuchte, sie hochzuziehen. Alle sahen ihm zu, wie er sie anhob, sahen, wie der Kopf der Alten haltlos nach hinten fiel, sahen, dass der Mann einen Augenblick unschlüssig dastand und den Körper dann wieder fallen ließ.
    Die will nicht mehr, sagte der junge Mann leise. Ist vielleicht besser, wenn wir abhauen. So laut, wie sie gekommen waren, so still gingen die Männer davon.
    Fofo, der sie beobachtet hatte, war erleichtert. Die hätte er abweisen müssen. Mama Rose hatte Prinzipien. Die da wären nicht willkommen gewesen. Und von ihm hätten sie etwas zu trinken verlangt und Krach gemacht. Er kannte solche betrunkenen Typen zur Genüge. Er war froh, dass sie gingen. Auf den Stufen vor dem Haus lag etwas, das sie verloren hatten. Man musste es wegräumen, bevor die nächsten Gäste kämen.
    Als Fofo Nini fand, war sie tot. Er trug sie über die Straße in sein Bistro und legte sie im Nebenraum auf den Fußboden. Er würde die Polizei benachrichtigen müssen. Aber zuerst Mama Rose.  
    Es war nicht Mama Rose, die herüberkam, sondern Maria-Carmen. Fofo führte sie in den Nebenraum. Da stand sie eine Weile mit zusammengekniffenen Augen, die Zähne in die Unterlippe gegraben, und starrte auf den Körper, der vor ihr auf dem Boden lag.
    Du hättest sie liegen lassen sollen, sagte sie schließlich. Wir müssen die Polizei anrufen. Kann sein, dass die Schwierigkeiten machen. Wie willst du erklären, dass sie hier liegt? Fass an. Wir tragen sie dahin, wo sie gelegen hat.
    Das mach ich allein, sagte Fofo. Sie ist leicht. Sie hat nach dir gefragt. Sie wollte zu dir, glaube ich.
    Ja, sagte Maria-Carmen. Sie ist mit mir gekommen. Ich hab ihr gesagt, sie soll wieder zurückfahren. Sie hat nicht auf mich gehört. Sie hat gern Gin getrunken.
    Ich weiß, sagte Fofo. Eine kleine alte Mama, die gern Gin trank.
    Er trug Ninis Körper an Maria-Carmen vorbei, zurück auf die Stufen, und sah auf ihn hinunter.
    So hat sie gelegen, glaube ich, sagte er. Ich ruf jetzt die Polizei.

Bella
    Das Restaurant unterhalb von Notre-Dame de la Garde war geschlossen.
    Es ist zu spät, sagte Julien. Jetzt weiß ich nur noch eine Bar, zu der wir fahren können. Oberhalb der Place de Lenche …
    Lassen Sie nur, sagte Bella. Bringen Sie mich einfach nach Hause. Sie haben’s wenigstens versucht.
    Sie sollten nicht so tun, als ob Sie gerade heute keine Gesellschaft brauchten, sagte Julien, als sie wieder im Auto saßen und den Berg hinabfuhren. Ich sag Ihnen was: Ich bin sehr froh, dass ich Sie getroffen habe.
    Ich bin nicht allein. Sie erinnern sich an diese kleine alte Frau, die ich bei mir habe?
    Ja, selbstverständlich erinnere ich mich. Wenn Sie jetzt zurück ins Hotel gehen, werden Sie ihr sagen müssen, dass Sie nichts erreicht haben. Das wird ein Lamento auslösen, und Sie werden in dieser Nacht, die allerdings bald vorüber ist, kein Auge zutun. Lohnt sich das? Mit mir dagegen könnten Sie den Versuch unternehmen, sich in die Seele eines einsamen Marseiller Polizisten zu versetzen, der danach lechzt, verstanden zu werden. Dem seine Arbeit immer schwerer fällt und der …
    Du lieber Himmel, Bella lachte. Wenn Sie wüssten, was ich mir in den letzten vierzig Jahren im Umgang mit Männern antrainiert habe, dann wäre Ihnen eben etwas anderes eingefallen, um mich zum Bleiben zu überreden.
    Ich bin nicht dumm, erwiderte Julien. Ich weiß sehr genau, zumindest ahne ich, was Sie versucht haben sich anzutrainieren.
    Bella sah ihn an. Grimaud lächelte.
    Sie wollen frei sein, fuhr Grimaud fort. Sie wollen selbst bestimmen, mit wem Sie sich einlassen. Worauf Sie sich einlassen. Wann Sie sich einlassen. Und dabei versäumen Sie dann manchmal die besten Dinge, die Ihnen geboten werden.
    Und den Rest der Nacht mit Ihnen zu verbringen gehört zu diesen besten Dingen?
    Meine liebe Bella, ich kann Ihnen versichern, dass Sie heute Nacht niemanden wie mich finden, der Ihnen Marseille zu Füßen legt; der Sie mit Geschichten aus dem Bauch von Marseille unterhalten kann; der an Ihren Lippen hängt,

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