Tod in Marseille
wenn Sie vom großen, reichen Hamburg erzählen, unserer großen Schwester, wenn Sie so wollen. Heute Nacht werde ich Ihnen Marseille erklären, und Sie werden mir Hamburg erklären, und das wird das einzig angemessene Fest sein, mit dem die Partnerschaft unserer beiden Städte gefeiert wird. Sie wissen das alles und wollen es ausschlagen, nur weil Sie selbst bestimmen wollen, mit wem Sie sich einlassen?
Ich gebe mich geschlagen, sagte Bella.
Julien parkte das Auto am Alten Hafen und stieg mit Bella ins Panier-Viertel hinauf. Die kleine Bar am Ende der Rue de Panier hatte tatsächlich noch geöffnet. Julien schien auch dort bekannt zu sein. Die Frau hinter dem Tresen, eine dunkelhaarige, langmähnige Schönheit mit großen Augen, großem Busen und großem Ausschnitt, winkte ihm zu.
Charlene, sagte Julien. Seit zwanzig Jahren im Geschäft. Früher hat sie geschwiegen wie ein Grab, wenn es hier irgendwelche Razzien gab. Das Viertel hat damals noch anders ausgesehen. Es haben auch andere Menschen hier gewohnt, darunter einige, die wussten, weshalb sie uns lieber aus dem Weg gingen. Heute gibt es nichts mehr, was Charlene verschweigen muss. Das Viertel hat sich verändert. Sie haben die kleinen Läden unterwegs gesehen: Kunsthandwerker, Boutiquen, der ganze kleinkarierte Mittelstand. Das Höchste, was es hier an Kriminalität gibt, sind Ehestreitigkeiten um Geld. Und die werden in aller Stille ausgetragen. Charlene bedauert das, glaube ich. Die Geheimnisse, von denen sie früher gewusst hat, haben ihr eine Aura gegeben. Heute hat sie Mühe, diese Aura aufrechtzuerhalten. Jetzt gibt sie uns gelegentlich aus freien Stücken einen kleinen Hinweis.
Hinweis? Worauf?
Julien antwortete nicht gleich. Er wartete, bis Charlene die Weinflasche und zwei Gläser gebracht hatte und wieder gegangen war.
Kleinigkeiten, sagte er dann achselzuckend. Wir sind hier sehr nah am Industriehafen. Sie wissen doch selbst, was am Hafen los sein kann.
Er schwieg, und Bella hatte den Eindruck, als wäre es ihm unangenehm, dieses Thema angeschnitten zu haben. Er wirkte plötzlich verschlossen. Es war nichts mehr übrig von dem lockeren Erzähler, der er gerade noch gewesen war. Sie schwiegen nun beide, und als sich Juliens Telefon bemerkbar machte, war er sichtlich erleichtert.
Ja?
Bella beobachtete ihn, während er lauschte, ohne den Anrufer zu unterbrechen. Selbst in dem schummrigen Licht in der Bar konnte sie sehen, dass er blass wurde.
Weiter, sagte er einmal, um dann wieder zuzuhören. Und dann am Ende: Danke.
Er steckte das Telefon ein und sah Bella an.
Ich überlegte gerade, sagte er, ob ich diesen Abend retten könnte, wenn ich Ihnen erst morgen sage, was ich jetzt schon weiß.
Aber das können Sie nicht, erwiderte Bella.
Nein, sagte Julien, weil ich Ihre Achtung nicht verlieren möchte, deshalb kann ich es nicht. Er machte eine kleine Pause, bevor er weitersprach.
Ihre Freundin Nini, sagte er, sie ist tot.
Später, wenn Bella sich an diesen Augenblick erinnerte, war sie über sich selbst erstaunt. Sie hatte sich für mitfühlender gehalten. Das Erste, was sie nach Grimauds Eröffnung gedacht hatte war: Sie ist nicht meine Freundin.
Jetzt schwieg sie und sah Grimaud an, der sie beobachtete, als machte er sich Sorgen um ihren Verstand. Was erwartete er?
Was ist passiert?, fragte Bella. Als ich sie verließ, war sie im Hotel. Ich hatte ihr eingeschärft, auf mich zu warten …
Sie brach ab. Natürlich, sie hatte ihr Versprechen nicht gehalten. Sie war nicht rechtzeitig zurückgekommen. Es hatte Nini zu lange gedauert, auf sie zu warten. Sie war auf die Straße gegangen, und es war ihr etwas zugestoßen … Es schien ihr, als hätte Grimaud ihre Gedanken erraten.
Machen Sie sich keine Vorwürfe, sagte er. Sie muss das Hotel gleich nach Ihnen verlassen haben. Der Mann aus dem Bistro gegenüber hat behauptet, sie habe von dort aus die Razzia beobachtet und sei anschließend gegangen.
Woher wusste sie, wohin wir fahren würden? Das ist ganz unmöglich. Ich wusste doch selbst nicht, wo das Bordell war.
Bitte, Bella. Es ist wichtig, dass Sie sich keine Vorwürfe machen. Ihre Freundin ist tot. Sie war für sich selbst verantwortlich.
Ich möchte zurück ins Hotel, sagte Bella.
Grimaud erhob sich sofort. Während er zahlte, versuchte sie sich vorzustellen, wie es sein würde, in das leere Appartement zurückzukommen. Würde sie Nini vermissen?
Ich kenne noch nicht alle Einzelheiten, sagte Grimaud, während Bella stumm neben
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