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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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ihm im Auto saß. Ich verspreche Ihnen, Sie bekommen einen genauen Bericht. Ist es Ihnen recht, wenn ich Sie morgen am späten Nachmittag abhole? Ich glaube, ich habe eine Idee, wie ich Sie ein wenig trösten kann.
    In Ordnung, sagte Bella.
    Sie hatte nicht wirklich zugehört. Sie wusste nur, dass esmüßig war, darüber nachzudenken, wie Nini vor das Haus von Mama Rose gekommen war. Trotzdem fragte sie die Concierge, als sie das Hotel betrat.
    Sie hat ein Taxi bestellt, Ihre Freundin. Keine Ahnung, wohin sie gefahren ist. Das hat sie mir nicht verraten.
    Meine Freundin, dachte Bella, während sie die Treppe emporstieg.
    Im Appartement gab es nur sehr wenige Dinge, die an Nini erinnerten; etwas Waschzeug im Bad, eine kleine schwarze Strickjacke, die sie gemeinsam in den Galeries Lafayette gekauft hatten, ein Paar schwarze Strümpfe. Bella steckte alles zusammen in eine Plastiktüte und stopfte die in den Papierkorb. Die Putzfrau würde die Sachen entsorgen. Sie setzte sich in den Sessel, in dem Nini zuletzt gesessen hatte, und dachte eine Weile darüber nach, wie ungewöhnlich die Begegnung mit der alten Frau gewesen war. Nur eine Episode, aber eine, die auf seltsame Art zu der Stadt zu gehören schien, in der sie sich befand. Noch einmal fiel ihr Josef Roth ein:
    Vom Reichtum zur Armut ist weniger als ein Schritt. Der Obdachlose schläft auf der Schwelle des Palastes. Die Lebensmittel verkauft man in einem, die Liebe im anderen Laden. Das Boot der armen Schiffer schwimmt hart neben dem großen Ozeandampfer.
    Durch Nini hatte sie einen Teil des Lebens in dieser Stadt kennengelernt, der ihr womöglich sonst verschlossen geblieben wäre. Ein Stück Vergangenheit von Marseille war durch Nini wieder lebendig geworden, wenn man im Zusammenhang mit Belle de Mai wirklich von »lebendig« sprechen konnte. Durch die Geschichten, die Nini über ihr Viertel, über ihre Arbeit in der Fabrik erzählte, hatte sie eine Ahnung davon bekommen, wie das Leben dort früher gewesen sein könnte. Insofern war es erlaubt, Nini in eine Reihe mit Seghers, Benjamin, Roth,Izzo & Co. zu stellen, die ihr bisher geholfen hatten, sich mit dem Charakter der Stadt vertraut zu machen. Allerdings würden von Ninis Erzählungen keine Bücher übrig bleiben, sondern nur die Erinnerung an sie. Und die würde sterben mit den Menschen, die sich jetzt noch an sie erinnerten.
    Maria-Carmen, dachte Bella, ich hätte nicht übel Lust, sie noch einmal zu besuchen.
    Jetzt? In der Nacht? Weshalb nicht. Besser, als hier im Zimmer zu sitzen und nicht schlafen zu können.
    Bella ging zu Fuß, weil sie dem Taxifahrer den Namen der Straße nicht nennen konnte, aber sie fand die Straße und auch das Haus, in dem die Razzia stattgefunden hatte. Im Bistro gegenüber brannte nur noch eine kleine Lampe über einem Tischchen, an dem ein Mann saß und schrieb. Bella betrat das Bistro, und die abgestandene Luft, die ihr entgegenschlug, ließ sie flacher atmen. Der Mann am Tisch sah auf. Sie ging zu ihm und setzte sich ihm gegenüber.
    Es ist geschlossen, sagte Fofo.
    Die alte Frau, sagte Bella, es war eine kleine Alte bei Ihnen. Haben Sie mit ihr gesprochen? Was hat sie gesagt, bevor man sie …
    Sie sehen müde aus, sagte Fofo. Ich mache einen starken Kaffee.
    Er verschwand hinter dem Tresen, und Bella blieb regungslos sitzen und starrte auf die Tischplatte. Ihr war nicht mehr klar, weshalb sie gekommen war. Sie war nur müde. Dankbar nahm sie den Kaffee, den Fofo ihr reichte.
    Ich hab nicht gewusst, dass sie versucht hat, dort drüben ins Haus zu kommen. Sie war einfach verschwunden. Und als ich sie wiedergesehen habe, da war sie … Ich kann nichts dafür.
    Ist schon gut, sagte Bella. Ich würde gern noch einmal mit der jungen Frau dort drüben reden. Können Sie dafür sorgen, dass ich eingelassen werde?
    Fofo sah sie an und schwieg. Besser, sie kommt hierher, sagte er dann. Mama Rose hat es nicht gern, wenn Fremde kommen. Ich will ihr Bescheid sagen.
    Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Maria-Carmen drüben das Haus verließ. Sie blieb neben der Haustür stehen.
    Gehen Sie zu ihr, sagte Fofo. Sie wartet nicht lange.
    Auf den Treppenstufen waren mit Kreide aufgemalte Umrisse zu erkennen.
    Ja, hier hat sie gelegen, sagte Maria-Carmen. Sie sprach laut, so als läge ihr daran, die Situation von Anfang an zu beherrschen. Und wenn Sie nicht dieses Theater veranstaltet hätten, diese Suche, gemeinsam mit Grimaud, dann würde sie noch leben, vermutlich. Was wollen Sie nun

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