Tod in Marseille
wieder in den Sinn gekommen. Ziemlich bald aber war die kleine Alte vergessen, dann nämlich, als der Zug die Provence erreichte und sie sich vom Blick auf die Landschaft gefangen nehmen ließ. Sie las ein kleines Stück einer Reisebeschreibung von Wolfgang Koeppen:
Die Provence lebte im Wind. Sie lag spanisch, urweltlich, bergwellig, kargwüchsig und dann auch wieder üppig, blühend, tropisch fruchtbar, mit allem, was nicht aus Stein war, sturmgepeitscht. Ein Blick in die unendliche Höhe des blauen Himmels machte trunken.
Bella sah aus dem Fenster, bis es dämmrig wurde. Am Abend war sie in Paris in den Zug nach Hamburg umgestiegen und hatte sich, gleich nachdem der Schaffner ihr Bett hergerichtet hatte, hingelegt.
Sie freute sich, als sie Kranz auf dem Bahnsteig entdeckte.
Gehen wir frühstücken, sagte er, du siehst aus, als hättest du gut geschlafen und seist nun hungrig. Bei mir in der Gegend gibt es ein spanisches Restaurant, wirklich spanisch, kein Verschnitt. Die haben einen wunderbaren Schinken.
Wie das Leben weitergeht
Der Abend, bevor Mama Rose nach Benin City flog, wurde wie ein Fest gefeiert. Obwohl es Mama Rose sehr schlechtging, hatte sie sich herausgeputzt und von Fofo und Maria-Carmen auf ihren Thron helfen lassen. Fofo hatte das Bistro an diesem Abend gar nicht geöffnet. Den Frauen war erlaubt worden, Kleider zu tragen. Sie trugen kurze Röcke, flache Schuhe und T-Shirts, billiges Zeug, das sie von ihrem Taschengeld erstanden hatten. Nur Maria-Carmen war aufwendig gekleidet. Grimaud, der eingeladen worden war, um sich von Mama Rose zu verabschieden und ihr das Versprechen zu geben, dass auch Maria-Carmen unter seinem Schutz stehen würde, hatte sie in den Laden auf dem Boulevard Longchamp mitgenommen. Den Verkäufern hatte es Spaß gemacht, eine junge, schöne Frau einzukleiden. Auf dem Rückweg waren Grimaud und Maria-Carmen in einem kurzen Gespräch übereingekommen, dass niemand Nissen je im Bordell von Mama Rose gesehen hätte.
Es war also alles zur Zufriedenheit aller geklärt. Dennoch war das Fest kein Erfolg. Die Frauen saßen herum und heulten. Weshalb, wusste niemand genau. Wahrscheinlich gab es verschiedene Gründe: Sie verdienten an diesem Abend nichts; Mama Rose tat ihnen leid; sie fürchteten sich vor Maria-Carmen und vor der Zukunft. Alles zusammen reichte offensichtlich für immer wiederkehrendes Gejammer. Das Essen, das Maria-Carmen bestellt hatte, mochte niemand. Fofo und Grimaud, die beiden einzigen Männer, gingen sehr bald wieder; Grimaud, weil ihn die Veranstaltung langweilte (er schob dienstliche Verpflichtungen vor); Fofo, weil er noch immer Schwierigkeiten hatte, Maria-Carmen als seine neue Chefin anzusehen. Er erklärte, er müsse das Bistro putzen, weil heute keine Kundschaft zu erwarten sei. Mama Rose hatte Schmerzen, die ihr das Gesicht und den Mund verzerrten. Häufiger als sonst waren ihre spitzen, goldenen Zähne zu sehen. Nach zwei Stunden schlug sie ihre Patschhände zusammen und beendete das Fest.
Geht und sagt ihr Auf Wiedersehen, und dann schlaft euch aus, sagte Maria-Carmen den Frauen. Das ist besser für euch, als hier herumzusitzen.
Eine nach der anderen ging heulend zu Mama Rose, die ihre fetten Hände auf die Köpfe der Frauen legte, wenn sie vor ihr auf die Knie gesunken waren.
Als sich alle Frauen verabschiedet hatten, versuchte Mama Rose mit Hilfe von Maria-Carmen, von ihrem Thron herunterzukommen. Es gelang ihr nicht. Fofo wurde gerufen, und gemeinsam brachten sie die dicke Frau ins Bett.
Sie macht’s nicht mehr lange, sagte Maria-Carmen, als sie das Schlafzimmer verlassen hatten.
Und dann?
Was, und dann? Wir machen weiter wie bisher. Du kannst gehen, wenn du keine Lust hast, mit mir zu arbeiten.
Wohin soll ich gehen, jammerte Fofo.
Ich sag dir was, antwortete Maria-Carmen. Es ändert sich nichts. Vorläufig nicht. Du weißt, was du zu tun hast. Mehr Geld gibt es nicht. Aber wir werden einen Tag in der Woche geschlossen haben. Du hast einen freien Tag, verstehst du?
Fofo starrte sie an und ging dann, ohne ein Wort zu sagen.
Flachkopf, murmelte Maria-Carmen und sah ihm nach.
Den freien Tag würde sie vor allen Dingen für sich selbst einführen. Sie würde herausfinden, welcher Tag in der Woche für ihre Pläne besonders gut geeignet wäre. Irgendwann würde sie oft genug im Theater und in Konzerten gewesen sein, um mitreden zu können, im Urlaub, in den feinen Hotels.
Im Parador, sagte sie laut, weshalb nicht im
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