Tod in Seide
genau, wie sie den alten Herrn rumkriegen konnte, mit Worten. Als ich sie das erste Mal sah, vor drei Jahren, war er wie verwandelt, weil er wusste, dass sie kam. Sie brachte ihm immer seine Lieblingspralinés mit, wenn sie in Paris gewesen war, oder eine eisgekühlte Flasche Wein, die sie dann miteinander tranken. Sie liebte es, ihm zuzuhören, und wollte alles über die Bilder wissen, an denen er gerade arbeitete – wem sie gehörten, was er mit ihnen machte, was aus ihnen wurde. Marco beschwerte sich manchmal, dass seine Frau die alten Geschichten nicht mehr hören wollte. Denise Caxton dagegen hing förmlich an seinen Lippen, oder zumindest vermittelte sie ihm diesen Eindruck.«
»Hat er jemals an Bildern gearbeitet, die sie gebracht hat?«
»Ja. Sie hatte ein Händchen für Ladenhüter und ersteigerte oft unglaublich farblose Gemälde, weil sie einen Tipp bekommen hatte oder weil sie auf ihren Instinkt vertraute. ›Wer ist es, Marco? Sag mir, wer sich darunter verbirgt, mi amore. ‹ Sie schaffte es, ihn dazu zu bringen, sich alles anzusehen, was sie ihm brachte. Und das Komische war, dass er mich immer dabei haben wollte, wenn sie dieses Spiel mit ihm spielte. So als ob er einen Zeugen dafür haben wollte, dass ihm eine außergewöhnlich attraktive junge Frau schöne Augen machte und er sich das nicht nur einbildete.«
»Wann hat sich seine Einstellung Deni gegenüber geändert?«
Cannon zögerte. »Sagt Mrs. Varelli das?«
»Ja. Sie sagte, dass er in letzter Zeit nicht mehr so glücklich war, wenn sie kam.«
»Ich kann mich nicht erinnern, wann genau das passierte, aber sie hat Recht. Mrs. Caxton kam immer seltener. Sie kam fast nie mehr allein, und es war vorbei mit den Spielchen.«
»Wenn sie nicht mehr allein kam, wer waren dann ihre Begleiter?«
»Freunde, Kunden – ich weiß es nicht. Varelli scheuchte mich aus dem Studio. Es fand ja kein verbales Vorspiel mehr statt, also brauchte er mich nicht mehr.«
Chapman war genervt. »Sie müssen doch einige von ihnen gekannt haben? Fangen Sie irgendwo an – Frauen? Männer? Jung? Alt?«
»Manchmal kam sie mit Leuten, die ich kannte, Bryan Daughtry zum Beispiel. Ein- oder zweimal in Begleitung einer Frau – vielleicht war es sogar die, die Sie mir vorhin beschrieben haben, die mit dem Dutt. Seven oder Sette sagten Sie, richtig? Aber meistens waren es Männer, zwei oder drei verschiedene in den letzten Monaten, seit sie sich von ihrem Mann getrennt hatte.«
»Können Sie sie uns beschreiben? Würden Sie sie wieder erkennen?«
Wieder zuckte Cannon mit den Achseln. Offensichtlich maß er diesen Besuchern keine große Bedeutung bei. »Mir ist nichts aufgefallen. Sicher, vielleicht würde ich sie wieder erkennen, vielleicht auch nicht. Sie müssen verstehen, Detective, dass ich, wenn Marco Varelli nicht gerade an einem Bild arbeitete, froh war, nicht dort zu sein. Ein Nachmittag im Museum war für mich genauso lehrreich wie ihm dabei zuzuhören, wie er mit den reichen Sammlern plauderte. Der Small Talk interessierte mich nicht.«
Chapman war aufgestanden und stand jetzt hinter Cannons Stuhl. »Gab es in den letzten drei Jahren noch jemanden, der so viel Zeit mit Marco Varelli verbracht hat wie Sie?«
Cannon dachte nach. »Nein. Nur seine Frau.«
»Jemanden, der wusste, was er über alles und jeden dachte?«
»Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Haben die Varellis Kinder?«
»Nein.«
»Ich wette, Sie waren wie ein Sohn für ihn, hab’ ich Recht?«
»Nicht direkt, aber er war sehr gut zu mir.«
»Don, was war für ihn das Wichtigste auf der Welt? Mal abgesehen von seiner Frau. Sagen Sie es uns.«
»Sie kennen die Antwort. Er lebte für die Kunst – um sie anzusehen, sie anzufassen, sie zu riechen, von ihr zu träumen.«
»Und Sie würden sein Vermächtnis weiterführen.«
»Nun, ich bin nicht der Einzige, der bei ihm in die Lehre gegangen ist. Es gibt weltweit Dutzende von Experten, die …«
»Ich rede aber von jetzt , Mr. Cannon. Sie waren die letzten drei Jahre praktisch unzertrennlich. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er viele Geheimnisse vor Ihnen hatte.« Mike schlug mit der Faust auf den Schreibtisch des Lieutenants. »Ich möchte, dass Sie mir sagen, warum er und Denise Caxton sich nicht mehr so gut verstanden haben.«
Cannon zuckte ob Chapmans Stimmungswechsel zusammen. »Ich war nicht sein Vertrauter, Mr. Chapman, sondern nur sein Schüler.«
»Und ich glaube, dass Sie verdammt noch mal ein viel zu intelligenter, zu guter
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