Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Seide

Tod in Seide

Titel: Tod in Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
Vom Netzwerk:
Street. Tot, mausetot. Von einem Güterzug überrollt.«

10
    »Death Avenue, die Avenue des Todes«, sagte Chapman tonlos.
    »Ein passender Name, nachdem, was gestern Abend passiert ist.«
    Es war halb neun Uhr morgens, und Mike und ich standen am Rande des Rangierbahnhofs an der Thirtieth Street, Ecke Eleventh Avenue. Mike hatte angerufen und vorgeschlagen, dass ich auf dem Weg ins Büro dort vorbeifahre und mich mit ihm treffe, damit er mir den Fundort von Sheffields Leiche zeigen konnte.
    »Ich rede nicht von gestern Abend. So hieß dieser Abschnitt vor hundert Jahren.« Seine Armbewegung schloss das Gelände nördlich und südlich der Gleise, die einmal der New York Central Railroad gehört hatten, mit ein. »Mein alter Herr ist hier aufgewachsen. Hat uns andauernd Geschichten über dieses Viertel erzählt.«
    Nach dem Bürgerkrieg, als ein großer Teil der West Side von Manhattan von Schlachthöfen, Fabriken, Holzplätzen und Mietskasernen okkupiert war, war das eines der schlimmsten Elendsviertel der Stadt gewesen. Die Polizisten, die hier von der Thirtieth bis hinauf zur Fifty-ninth Street und vom Hudson River bis hinüber zur Eighth Avenue auf Streife waren, nannten die Gegend Hell’s Kitchen, die Küche der Hölle.
    »Tag und Nacht kamen hier Güterzüge durch. Die Gegend war berüchtigt für ihren Dreck und die gefährlichen Straßengangs, die hier das Sagen hatten. Diejenigen Kinder, die nicht an Krankheiten starben oder vor dem Staub und Lärm Reißaus nahmen, hatten gute Aussichten, von einem der Züge überrollt zu werden. Big Mike war hier schon im Dienst, lange bevor sie die Gleise so um 1930 herum auf eine Hochtrasse anhoben.« Mike grinste, als er an die Geschichten seines Vaters dachte. »Wahnsinn, er hat mir erzählt, dass es vor jedem Zug, der hier durchkam, einen ›Cowboy‹ gab – einen Kerl, der auf einem Pferd vor der Lok herritt und eine Fahne schwenkte, damit die Leute aus dem Weg gingen. Kannst du dir das vorstellen – mitten in Manhattan, im zwanzigsten Jahrhundert? Als mein Vater vier oder fünf Jahre alt war, träumte er davon, einmal dieser Cowboy zu sein. Als er dann endlich alt genug war, hatten sie die Gleise bereits angehoben. Aber die Straße hieß schon damals Death Avenue.«
    »Da kommt Mercer.« Ich deutete zur Straßenecke, wo Mercer gerade sein Auto parkte. »Was habt ihr vor?«
    »Wir sind in ein paar Minuten mit Daughtry in der Galerie verabredet. Ich dachte mir, du würdest bei dem Gespräch gern dabei sein.«
    »Was sagt die Gerichtsmedizin?«, waren Mercers Begrüßungsworte.
    »Ich hab’s Coop gerade erzählt. Der Zug hat Sheffield ziemlich zugerichtet. Aber er geriet mit Sicherheit nicht zufällig auf die Gleise. Fleisher sagt, es wird ein paar Tage dauern bis er die toxikologischen Ergebnisse hat. Ich vermute, dass ihn jemand mit Stoff oder Beruhigungstabletten voll gepumpt und ihn dann hier im Dunkeln zurückgelassen hat, damit es wie ein Unfall aussieht. Übrigens ist es nicht erst letzte Nacht passiert. Omar hat schon ein paar Tage hier gelegen – aus den Augen, aus dem Sinn.«
    Mercer schwenkte einige Papiere, die er zusammengerollt in der linken Hand hielt. »Mr. Sheffield. 46 Jahre alt, drei Vorstrafen wegen schwerer Verbrechen, hat sich von Einbruchsdiebstahl über Waffenbesitz zu bewaffnetem Raubüberfall hochgearbeitet. Vor acht Monaten auf Bewährung entlassen. Selbstverständlich hat er sich brav bei seinem Bewährungshelfer gemeldet, aber der hatte keinen Schimmer, dass es Omars Privatadresse gar nicht gab.«
    »Glaubst du, dass Deni Caxton das wusste, als sie ihn einstellte?«, fragte ich.
    »Das finden wir hoffentlich gleich heraus. Daughtry rief mich gestern Nacht spät zurück. Er wartet in der Galerie auf uns. Können wir?«
    Mike und ich ließen unsere Autos am Rangierbahnhof stehen und fuhren mit Mercer im Dienstwagen zur Twentysecond Street zwischen der Tenth und Eleventh Avenue. Ich war Bryan Daughtry nie zuvor begegnet, wusste aber dennoch gut über ihn Bescheid. Er war vor ungefähr zehn Jahren in einen Mordfall im Westchester County verwickelt gewesen, allerdings war es nie zu einer Anschuldigung oder strafrechtlichen Verfolgung gekommen.
    Ende der Achtzigerjahre hatte Daughtry eine Galerie im Fuller Building besessen, wo Lowell Caxton noch immer seinen feinen Laden betrieb. Der damals vierzigjährige Daughtry hatte sich in der Branche schnell hochgearbeitet. Vom Praktikanten eines erfolgreichen Händlers wurde er zum persönlichen

Weitere Kostenlose Bücher