Tod in Seide
ein Zwerg und muss mittlerweile weit über achtzig sein. Es kann sein, dass Varelli einige von Denis Geheimnissen kannte. Er hat ein kleines Atelier im Village.«
»Wir hoffen, so viele Unterlagen wie möglich aus ihrer Galerie einsehen zu können. Mit etwas Glück hat sie sich auch über ihr Liebesleben Notizen gemacht«, sagte Mercer.
Joan schüttelte den Kopf. »›Gute Mädchen führen Tagebuch, böse Mädchen haben dafür keine Zeit.‹ Tallulah Bankhead. Ich halte das für nicht sehr wahrscheinlich.«
»Du hast gesagt, du würdest uns verraten, warum Lowell Caxton bei den angesehenen Häusern nicht mehr willkommen war«, erinnerte ich Joan.
»Der Einbruch im Gardner-Museum, ist fast zehn Jahre her. Ist das schon bei euren bisherigen Interviews zur Sprache gekommen?«
»Du solltest wirklich bei deinen Stücken bleiben, Joan«, sagte Mike. »Schenk mir noch ein Glas Rotwein ein, ja?«
Ich wusste, dass die Bostoner Grand Dame Isabella Stewart Gardner Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts einen venezianischen Palazzo errichten ließ, um darin eine der spektakulärsten Kunstsammlungen des Landes unterzubringen, die sie mit Hilfe ihres guten Freundes, des Kunstkritikers Bernard Berenson, zusammengetragen hatte. Ich war während meiner Studienzeit mehrere Male in dem Museum gewesen und zuletzt erst vor einem Jahr, als ich durch den Bostoner Stadtteil Fenway kam.
»Ich erinnere mich an den Einbruch, aber das ist schon so lange her. Ist der jemals aufgeklärt worden?«
»Nein«, sagte Joan. »Hört zu, hier hat sich Lowell die Hände vielleicht sogar noch schmutziger gemacht.« Sie begann, uns die Geschichte vom bisher kostspieligsten Kunstraub in der Geschichte der Vereinigten Staaten zu erzählen. »Im März 1990 ließ der Sicherheitsdienst am Seiteneingang des Museums zwei Männer ein, die wie Bostoner Polizisten aussahen. Die Diebe sperrten die Sicherheitskräfte ein, setzten das primitive Alarmsystem außer Gefecht und machten sich mit ungefähr zehn Gemälden aus dem Staub. Der geschätzte Wert der Beute – fast dreihundert Millionen Dollar. «
»Ist das dein Ernst? Was waren das für Gemälde?«, fragte Mercer.
»Einige Impressionisten – ein Manet und ein Degas, glaube ich –, eine alte chinesische Bronzestatue, eine Kreuzblume von einer napoleonischen Fahnenstange, ein Vermeer und das Meisterwerk, um das der größte Wirbel gemacht wird: ein dreihundertsechzig Jahre alter Rembrandt, der im berühmten Holländischen Raum des Gardner-Museums hing. Das Bild mit dem Titel Christus auf dem See Genezareth ist das einzige Seestück, das er je gemalt hat. Es ist niemals wieder etwas aus dem Raub aufgetaucht. Nicht die kleinste Spur. Das Gardner-Museum war zum Zeitpunkt des Diebstahls so schlecht versichert, dass es nur eine Million Dollar als Belohnung aussetzte. Erst vor ein oder zwei Jahren erhöhte das FBI die Belohnung auf fünf Millionen. In der Kunstszene kursieren seit Jahren Gerüchte, aber nicht ein einziger konkreter Hinweis, dem man nachgehen könnte. Mit Ausnahme der Splitter.«
»Welche Splitter?«
»Ich mach’s doch nur spannend, Alex. Farbsplitter natürlich. Die meisten der Kunstwerke waren klein genug, um sie mitsamt dem Rahmen klauen zu können. Aber den Rembrandt – vielleicht weil er an der Aufhängung festgemacht war – den Rembrandt schnitten die Diebe aus dem Rahmen. Ist das nicht furchtbar? Nun ja, wie dem auch sei, das Bild muss wegen des Lacks und vielleicht auch auf Grund seines Alters so steif gewesen sein, dass buchstäblich Dutzende von Farbsplittern auf den Boden fielen. Das war alles, was davon zurück blieb.«
»Und wie passt das wieder mit Caxton zusammen?«, fragte Mike und schleckte sich die Schokoladensauce, mit der die Profiterole serviert worden war, aus den Mundwinkeln.
»Jeder weiß, dass das Gemälde viel zu heiß ist. Im Laufe der Jahre sind einige der Gangster, die man in Boston und Umgebung tot aufgefunden hat, mit dem Diebstahl in Verbindung gebracht worden. Und jedes Mal munkelte man in den Galerien und Auktionshäusern, dass es sich dabei vor allem um den Rembrandt dreht. Falls irgendjemand eine Beute dieses Kalibers verstecken oder irgendwohin schaffen wollte, dann müsste derjenige entweder so reich wie Lowell Caxton oder so risikofreudig wie Deni sein. Vor einigen Monaten gab es in Lowells Galerie im Fuller Building eine Vernissage. Deni war schon gegangen, als ich dort ankam. Jeder sagte, sie wäre high gewesen und hätte
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